Der europäische Flugzeughersteller Airbus will Kerosin durch Wasserstoff ersetzen – der US-amerikanische Konkurrent Boeing ist skeptisch. Fluggesellschaften wie Lufthansa bereiten sich auf den Wandel vor. Es gibt nur ein Problem: Die technischen Lösungen für einen Umstieg auf Wasserstoff sind bislang nur im Ansatz vorhanden. Außerdem ist die gesamte Infrastruktur in der Luftfahrt noch auf kerosinbetriebene Antriebe ausgerichtet. Aber ganz sicher ist: Der Wechsel auf Wasserstoff wird sehr langwierig und teuer. Das schreckt den Airbus-Rivalen Boeing bisher ab.
„Wasserstoff ist eine der vielversprechendsten Technologien“, so Airbus-Chef Guillaume Faury. Die Luftfahrt steht unter Handlungsdruck. Laut einer internationalen Studie steuert sie einen Anteil von 3,5 Prozent zum mensch-gemachten Klimawandel bei. Das klingt erstmal nicht viel, denn es gibt noch viel schlimmere Klimasünder, doch die CO2-Emissionen wirken in großer Höhe, wo sie nach neuesten Erkenntnissen ganz besonders viel Schaden für das Klima anrichten.
Was also tun? Anders als in der Automobil-Industrie kommen batteriebetriebene Antriebe wegen des hohen Gewichts der Akkus für größere Verkehrsflugzeuge nicht in Frage. Genau das macht eine Lösung des Problems so kompliziert. Am besten wäre zudem der grüne, der mit Ökostrom produzierte Wasserstoff. Der aber lässt sich wegen seines großen Volumens nur schwer speichern. Die Entwickler konzentrieren sich daher zunächst auf die Entwicklung von kleineren Flugzeugen mit einer Kapazität für 100 bis 150 Passagiere. Bei diesen Kurzstreckenflugzeugen mit geringen Reichweiten scheinen die technischen Probleme halbwegs beherrschbar zu sein.
Es muss etwas passieren
Lauf Analyst Sash Tusa von Agency Partner ist Wasserstoff mit Abstand die beste Lösung, um das Ziel von Zero Emissionen zu erreichen. Es müsse etwas getan werden, sonst werde Fliegen politisch und gesellschaftlich nicht mehr akzeptabel sein.
Aktuell untersucht Airbus vier Ansätze. Drei Modelle sind Flugzeuge mit einem sogenannten hybridelektrischen Antrieb. Darunter befindet sich ein Regionalflugzeug mit einem Turboprop-Antrieb, ein Jet in der Größe der A320-Familie und ein sogenannter Blended Wing Body, eine Art Nurflügler. Bei allen drei Modellen gibt es wie bisher Gasturbinen, die modifiziert sind und mit Wasserstoff angetrieben werden. Da Wasserstoff an Bord ist, überlegt Airbus parallel Brennstoffzellen zu installieren. Sie könnten Strom liefern, die beim Start und beim Steigflug die Gas-Turbinen mit zusätzlicher Energie versorgen.
Das vierte Konzept ist das radikalste. Es ist eine klassische Flugzeugröhre mit Flügeln, unter denen sich sechs Antriebseinheiten, sogenannte „Pods“, befinden. Jede für sich ist ein komplett unabhängiger Turboprop mit einem eigenen Wasserstoff-Tank, einer Brennstoffzelle, der Kühlung, dem Motor sowie der elektrischen Steuerung.
Der Platz in den Flügeln reicht nicht
Aktuell dürfte diese Lösung die aussichtsreichste sein. Denn die Ingenieure stehen vor einem großen Problem. Wasserstoff hat eine deutlich niedrigere Energiedichte als Kerosin, man braucht also mehr davon an Bord. Der Platz in den Flügeln reicht nicht. Einzige Ausnahme: das Blended-Wing-Modell. Hier ist mehr Platz für den „Stoff“. Das Problem: Die Zertifizierung einer solch radikal neuen Konstruktion würde lange dauern, denn die Flugeigenschaften einer solchen Maschine sind nicht erprobt. Deshalb spricht aktuell viel für die „Pod-Version“.
Airbus will spätestens 2025 entscheiden, ob die milliardenschwere Entwicklung eines Serienflugzeugs beginnen kann und welche Technologie-Elemente zum Einsatz kommen. Ein erster Prototyp in realer Größe soll dann Ende des Jahrzehnts stehen, 2035 der Linien-Betrieb starten.
Die Airbus-Entwickler sind aber noch noch auf eine andere Idee gekommen. Weil Wasserstoff an Bord ist, der bei minus 253 Grad gelagert werden muss, können sie sogenannte Supraleiter einsetzen. Diese Werkstoffe brauchen solche Tieftemperaturen, sie sind vereinfacht ausgedrückt elektrische Verbindungen ohne jeglichen Widerstand. Die verfügbare Energie kann verlustfrei zum Motor geleitet werden. Dadurch erhöht sich die Leistungsdichte des gesamten Systems bei niedrigerem Gewicht. Airbus hofft, so die künftigen Systeme zwei- bis dreimal leichter machen zu können als heutige Flugzeugturbinen.
Gleichzeitig stellt der Analyst und Branchenkenner Tusa klar, dass es extrem teuer und kompliziert wird, die neue Technologie und die entsprechene Infrastruktur zu entwickeln. Es gehe um sehr hohe Investitionen, die höchsten in die zivile Luftfahrt seit den 1950er-Jahren.
Solche Ausgaben können nur große Konzerne stemmen wie Airbus, Boeing, Hersteller aus China, Russland oder vom Golf stemmen, die von ihren Regierungen unterstützt werden. Es koste rund 15 Milliarden Dollar, um ein normales Flugzeug mit 150 Sitzen zu entwickeln und in die Produktion zu bringen, so Tusa gegenüber dem Handelsblatt. Bei der Wasserstoff-Technologie dürfte diese Summe deutlich höher ausfallen.
Bei Boeing ist es auffällig ruhig
Während Airbus emsig an Konzepten forscht, ist es bei Boeing rund um das Thema Wasserstoff auffällig ruhig. Zwar hat der US-Konzern bereits 2008 mit dem Zweisitzer Dimona einen Wasserstoff-Flieger entwickelt, der in Spanien geflogen ist. Vier Jahre später folgte das unbenannte Aufklärungsflugzeug „Phantom Eye“, betrieben mit flüssigem Wasserstoff. Doch Brian Yutko, Chef-Ingenieur bei Boeing für Nachhaltigkeit und Zukunftsmobilität, ist skeptisch. Man habe starke Zweifel, ob Wasserstoff wirklich in einem relevanten Maß auf Langstreckenflügen in der Luftfahrt genutzt werden kann, um damit bis 2050 CO2-neutral zu sein.
Boeing habe bei seinen Versuchen die großen Herausforderungen gesehen. Die Technologie sei noch nicht so weit, um in der zivilen Luftfahrt in relevantem Maß sicher eingesetzt zu werden, ist sich der MIT-Ingenieur Yutko, der auch schon bei Aurora an elektrischen autonomen Flugzeugen gearbeitet hat, sicher.
Analyst Tusa glaubt aber noch eine andere Begründung für Boeings Zurückhaltung zu kennen. Der Airbus-Konkurrent habe mit der Unglücksmaschine 737 Max, den Problemen beim Dreamliner und seinen Milliardenverlusten genug zu tun. Airbus habe das Glück, dass sie dieses Risiko eingehen können, weil sie nicht so viele dringende Probleme wie ihr Konkurrent haben. Sollte Airbus mit seinen Wasserstoff-Plänen erfolgreich sein, würde das einen enormen Druck auf Boeing ausüben, die dann eineinhalb Jahrzehnte hinterher wären.
Milliardäre Bill Gates und Li Ka Shing untertützen „Zukunft der Luftfahrt“- Start-ups
Val Miftakhov, Gründer und CEO des Start-ups ZeroAvia will in England die nächste Testrunde seiner mit Wasserstoff betriebenen Flugzeuge selbst begleiten. Bei vier der geplanten 20 Flüge will der Physiker und Hobby-Pilot aus Kalifornien selbst am Steuer sitzen. Miftakhov ist Teil einer ganzen Reihe von Unternehmensgründern, die an der Zukunft der Luftfahrt arbeiten. Zu seinen Investoren gehören die Milliardäre Bill Gates und Li Ka Shing, Investor aus Hongkong. Aber auch namhafte Wagnis-kapitalgeber wie Horizon Ventures oder Shell, British Airways und Amazon sind dabei. Miftakhov, ehemaliger Google Manager und McKinsey-Partner, hat bereits ein E-Auto-Start-up gegründet. Bei Flugzeugen sei aber schnell klar gewesen, dass Batterien nicht die Lösung sein können. Für den in Russland aufgewachsenen Ingenieur ist es die beste Lösung, Wasserstoff an Bord zu bringen, ihn dort mit Brennstoffzellen umzuwandeln und das Triebwerk damit zu betreiben.
Noch gebe es keine Verträge mit Fluggesellschaften, aber mehrere Absichtserklärungen. Da ZeroAvia bisher vor allem 20- und 50-Sitzer entwickelt hat, kommen diese vor allem als Ersatz für kleine Regionalflieger infrage, die viele Airlines in ihrer Flotte haben.
„Unsere Maschinen fliegen schon“, sagt Miftakhov. Auch könne man die Antriebe in einem ersten Schritt in bestehende Flugzeuge einbauen. Später werde das Design von Flugzeugen wahrscheinlich futuristischer aussehen, prophezeit er. Analyst Tusa sieht solche Aussagen eher skeptisch. Den Start-ups wünsche er viel Glück. Angesichts der hohen Entwicklungskosten sieht er für Jungunternehmen maximal bei der Infrastruktur rund um den Wasserstoff einen Markt.
Universal Hydrogen arbeitet an der Wasserstoff-Infrastruktur
Genau daran arbeitet Universal Hydrogen. Neben Antrieben will es Flugzeuge auch an entlegenen Flughäfen mit Wasserstoff versorgen. Im Verwaltungsrat des Unternehmens mit Sitz in Los Angeles sitzt seit Februar der ehemalige Airbus-Chef Tom Enders. Die Idee: Wasserstoff-Flaschen, die aussehen wie herkömmliche Gasflaschen, werden von normalen Gepäck-Fahrzeugen zu den Flugzeugen transportiert. Der Vorteil: Die Flughäfen müssen keine eigene aufwendige und teure Tank-Infrastruktur aufbauen. „Unser Modell ist der Nespresso des Wasserstoffs“, sagt Jon Gordon, einer der Mitgründer. Eine Fluggesellschaft fliege im Durchschnitt 40 bis 50 verschiedene Airports an. Nicht an jedem könne es eine Elektrolyse-Station für Wasserstoff geben.
Viele Spieler im Markt hättenSorge, dass es zu schwierig ist, den Wasserstoff an alle Flughäfen zu liefern. „Wir machen es ihnen ganz einfach, wir übernehmen die Logistik.“ Man liefere die Flaschen und nehme die alten wieder mit.
Lufthansa beginnt mit den Vorbereitungen zum Thema Wasserstoff
Auch bei Lufthansa Technik beschäftigt man sich seit Kurzem intensiv mit der Frage, wie der Wasserstoff zum Flugzeug gelangt und wie solche technologisch komplett neuen Maschinen fit gehalten werden können. Ohne Infrastruktur am Boden und ohne Wartung werde kein mit Wasserstoff betriebenes Flugzeug abheben, sagt Christoph de Beer, bei der Lufthansa Technik für das Thema Wasserstoff zuständig.
„Wenn 2030 das erste Testflugzeug abhebt und 2035 der kommerzielle Betrieb starten soll, dann ist der Zeitdruck groß. Wir müssen jetzt anfangen“, sagt de Beer. Lufthansa Technik werde deshalb in Kooperation mit Partnern einen Demonstrator aufbauen. „Ein Flugzeug, in das wir eine Brennstoffzelle und einen Wasserstofftank einbauen, um dann Bodenprozesse sowie Reparatur- und Wartungstechnologien zu erproben.“ Die Gespräche mit den potenziellen Partnern seien bereits sehr weit fortgeschritten. Doch viele Technologien müssten erst entwickelt werden. Diese will man dann direkt am Demonstrator testen und gegebenenfalls anpassen und verändern.
Er weist gleichzeitig auf einen Aspekt hin, der für alle Lösungen der Schlüssel sei: Das Ganze müsse auch wirtschaftlich sein, sonst werden die Fluggesellschaften diese Technologie nicht nutzen.
Quellen: Airbus, Lufthansa Technik, Handelsblatt