Wenn die EU-Kommission ab 7. Dezember über den ,Fall Lufthansa-Air Berlin´ entscheidet, werde sie Weichen stellen für die europäische Luftfahrt, so Ulrich Schulte-Strathaus, viele Jahre Luftverkehrs-Lobbyist in Berlin und Brüssel, Generalssekretär des europäischen Airline Verbands AEA von 2002 bis 2012, heute Geschäftsführer Aviation Strategy & Concepts. Brüssel muss zustimmen, dass die Lufthansa-Tochter Eurowings die Air-Berlin-Firmen Niki und LGW kaufen darf. Auch einem weiteren Deal muss Brüssel sein OK geben: Easyjet hat sich Teile Air Berlins gesichert. Erste Entscheidungen werden am 7. Dezember erwartet.
Ende November gab es im Rahmen des diesjährigen Aviation Symposiums, einem der Branchentreffs der Airline Industrie, einiges darüber zu erfahren und zu lernen. Möglich ist nämlich, so der Airline Stratege, dass die EU-Kartellbehörde eine vertiefte Prüfung verlangt. Dann würde sich das Verfahren hinziehen. Hinzu kämen aufwendige Zulassungsverfahren für Jets und die Aufstellung der Crews. Fest stehe für Brüssel, dass der Wettbewerb gesichert bleiben muss und die Konkurrenz nicht leiden darf.
Schulte-Strathaus, der auf viele Jahre Erfahrung mit der EU-Kommission zurückblickt, betonte, dass bei Transaktionen dieses Ausmaßes die ersten Schritte zwischen Antragsteller und Behörde informeller Natur wären und die Bedeutung dieser ,Vorfeld-Gespräche´ nicht zu unterschätzen sei.
Er nimmt an, dass man bei den Vorfeld-Gesprächen im konkreten Fall auf den US-amerikanischen Luftverkehrsmarkt verwiesen habe, der von der Größe her mit dem europäischen vergleichbar ist. Dort habe die Konsolidierung zu fünf verbleibenden Airlines geführt, die 90 Prozent des Marktes beherrschten und die Preishoheit wiedererlangt hätten.
Dies, so Schulte-Strathaus, sei nicht unbedingt nachteilig für die Verbraucher. In jedem Fall könnten die US-Airlines aufgrund ihrer niedrigeren Kosten inzwischen wieder angemessen wirtschaften. In Europa gebe es fünf Unternehmen, die sich etwa 60 Prozent des europäischen Luftverkehrsmarktes teilten, den Rest 160 weitere.
Das sei im globalen Wettbewerb wenig hilfreich und könne nur durch eine weitergehende Konsolidierung bereinigt werden.
Die Insolvenzen von Monarch Air und Alitalia seien nur erste Indikatoren, dass sich der Markt weiter strukturell verändern müsse. Außerdem gingen die am Boden stehenden Flugzeuge durch die Air Berlin-Insolvenz auch nicht an Lufthansa, sondern an Airlines der Lufthansa Group, an Eurowings zum Beispiel. Dies wiederum stärke den Wettbewerb im Lowcost Segment, etwa gegen Ryanair und Easyjet. Berücksichtige man dann noch, dass Air Berlin nicht profitabel operierte und auch deshalb nicht überleben konnte, wo sei dann eigentlich das Problem?
Der Einfluss der ,Case handler´ in den Brüsseler Behörden
Man müsse, so Schulte-Strathaus, aber auch wissen, dass die Kartellbehörden sich als Wahrer der Verbraucherinteressen verstehen. Vor allem hätten sie großes Interesse daran, möglichst frühzeitig informiert zu werden. Nichts hassten sie mehr, als aus der Presse zu erfahren, was eigentlich geplant ist. Er gab zudem einen sehr interessanten Blick hinter die Kulissen. In der Organisation der europäischen Wettbewerbsbehörde, gebe es zahlreiche Sachbearbeiter, so genannte `Case handler´, die in Referaten organisiert und mit Einzelfällen befasst seien. Sämtliche Industriezweige sind unter einer Generaldirektion zusammengeführt. Der mit dem Detail befasste ,Case handler´ lege unter Einbeziehung des Chef der Behörde seine Vorlage dem Kabinett vor. Das heißt, der Einfluss des Case handlers sei beachtlich und es gebe kaum eine rechtliche Möglichkeit, gegen seine sachliche Einschätzung vorzugehen. Sie könne nur vom Europäischen Gerichtshof revidiert werden. Ein weiterer, entscheidender Spieler in Brüssel sei der Chefökonom. Der EU-Kommissar verlasse sich auf die Überprüfung der volks- und betriebswirtschaftlichen Angaben der Antragsteller durch seinen Chefökonom. Wenn dieser überzeugt sei, habe der Antragsteller 80 Prozent der Hürden für einen zufriedenstellenden Ausgang des Verfahrens genommen.
Lufthansa kann nicht dafür abgestraft werden, dass Air Berlin insolvent wurde
Der ,Lufthansa-Air Berlin Fall´, so der ehemalige AEA-Generalsekretär, sei ohne Zweifel komplex, weil nicht nur der Betrieb übernommen werde, sondern auch Flugzeuge nebst Crew. Die Frage sei, ob das bereits als Fusion gesehen werden könne. Es komme darauf an, ob es zu Auflagen kommt, die den Wettbewerb im innerdeutschen Verkehr sicherstellen sollen, ohne dass Lufthansa dafür abgestraft werde, nur weil ein nicht überlebensfähiges Unternehmen insolvent wurde.
Laut Schulte-Strathaus könnte es sein, dass die Kartellbehörde Einzelschritte analysiert und danach bewertet, ob Lufthansa auf diversen Strecken im innerdeutschen und innereuropäischen Markt eine marktbeherrschende Stellung einnimmt. Dies werde bei 48 Prozent Marktanteil angenommen.
Grundsätzlich gehe die Behörde davon aus, dass eine Verringerung der Zahl der Anbieter zum Nachteil des Wettbewerbs und damit der Verbraucher führe. Dem Vernehmen nach solle am 7. Dezember eine Entscheidung von der EU-Kommission dazu fallen. Sollte Lufthansa Zusagen machen, sich zu bestimmten Auflagen zu verpflichten, würde sich der Termin für eine Entscheidung um zehn Werktage verschieben. Sollte die Kommission weder am 7. Dezember noch zehn Werktage später die Genehmigung erteilen, würden vertiefende Prüfungen erfolgen, für die 90 Werktage vorgesehen sind, so der Experte. Der Fall ,Lufthansa-Air Berlin´ werfe zahlreiche Fragen auf und sei nicht allein kartellrechtlicher Natur. Fraglich sei, ob die Übernahme der Wetlease-Verträge relevant ist oder nur der Erwerb von Niki und LGW und welche Auflagen es geben könnte, um den Wettbewerb zu gewährleisten, ohne den Markt zu deregulieren, auch welche Auswirkung die Marktpräsenz von Easyjet im deutschen Markt und die angekündigte Anzahl von Ryanair-Diensten habe.
Geschäftsmodell Airline 2.0 – der neue europäische Player?
Miteinbeziehen in die Betrachtung werde Brüssel sicherlich auch das neue Luftvekehrs-Geschäftsmodell ,Airline 2.0´ , was heiße, dass im selben Flugzeug Business Class und Lowcost angeboten werde. Dieses neue Produkt werde allmählich bei etablierten wie Lowcost-Carriern zum Mainstream-Geschäftsmodel.Wie aber könne eine Kartellbehörde Einfluss nehmen auf die Ausgestaltung dieses neuartigen Wettbewerbs? Schulte-Strathaus nimmt an, dass weitere europäische Airlines insolvent und das Geschäftsmodell ,Airline 2.0` weiter wachsen werde. Weitere Fragen seien, ob die anschließend erlangte Preishoheit zum Nachteil der Verbraucher werde, ob die Verbindungen in die vielen kleineren EU-Mitgliedstaaten gewährleistet bleibe, wenn sich die Kräfte eher auf die großen Märkte konzentrierten. In jedem Fall , so die Einschätzung des langjährigen Kenners der Branche und der Brüsseler Behörden, werde der Fall ,Lufthansa – Air Berlin´ Weichen stellen für den europäischen Luftverkehr.
Johanna Wenninger-Muhr