Der prächtige Friedrich-von-Thiersch-Saal im Kurhaus der hessischen Landeshautpstadt Wiesbaden war der Ort, an dem am 23. Juni 2024, dem zweiten Tag des Eröffnungskonzerts des Rheingau Musik Festivals 2024, Bruce Liu, der 27-jährige kanadische Pianist chinesischer Herkunft, sein Können zum Besten gab. Begleitet wurde er vom hr-Synfonieorchester, unter der Leitung von Alain Altinoglu.
„Eines der faszinierendsten Talente seiner Generation“ schrieb das BBC Music Magazine als Bruce Liu erster Preisträger des 18. Internationalen Chopin-Klavierwettbewerbs 2021 in Warschau wurde. Er hätte in kürzester Zeit einen Rockstar-Status in der Welt der klassischen Musik erlangt. Eine Kostprobe davon gab es am 23. Juni 2024. Dass noch viel von ihm zu erwarten ist, hat er auch in Wiesbaden gezeigt. Nicht nur, dass es ihm gelang, mit Ludwig van Beethovens Klavierkonzert Nr. 5 das Publikum zu faszinieren, es gelang ihm auch, es mitzureißen und es eintauchen zu lassen in die Welt der Gefühle, der Emotionen. Bruce Liu, begleitet vom brillianten HR-Sinfonieorchester, das seit 2021 von Chefdirigent Alain Altinoglu geleitet wird, erntete einen fulminaten Applaus, der eine Zugabe zur Folge hatte. In dieser Zugabe, dem Klavierstück „Für Elise“ von Beethoven, zeigte Liu seine jazzige und rockige Seite. Mit Jubelrufen und Standing Ovations zeigte das Publikum seine Begeisterung.
„Mein Vaterland“ – Smetana und die böhmische Romantik
Nach der Pause entführte das hr-Sinfonie Orchester das Publikum mit Bedrich Smetanas „Má Vlast“,“Mein Vaterland“, das Publikum in die böhmische Natur und in das Gefühl des erwachenden Nationalbewusstseins der damaligen böhmischen Bevölkerung. Das Königreich Böhmen gehörte zum Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn, in dem sich viele nationale Bewegungen gegen die Dominanz der Habsburgermonarchie auflehnten. Der einzigartige Zyklus entstand 1874-1879, in der letzten Phase der fast 650 Jahre dauernden Herrschaft der Habsburger. Smetana hat mit „Mein Vaterland“ dem aufkeimenden Nationalgefühl der Tschechen im 19. Jahrhundert ein musikalisches Denkmal gesetzt.
Smetana setzt in den sechs eng verbundenen Tondichtungen Sagen und Legenden und vor allem die Natur Böhmens in Töne um. Mit der über der Moldau, dem längsten Fluss Böhmens, gelegenen Festungsanlage Vysehrad bei Prag, beginnt der Zyklus. Zu Smetanas Zeiten waren vom ehemaligen Stammsitz der ersten böhmischen Herrscher nur Ruinen übrig. Smetanas Musik beschwört das Vergangene und stellt in Aussicht, dass die alte Größe von Neuem entstehen könnte.
Darauf folgt die berühmteste der sechs Tondichtungen, die „Moldau“ (Vltava). Smetana beschreibt den Verlauf der Moldau von den Quellen über die St. Johannis-Stromschnellen bis hin zum Burgwall des Vysehrad. Die Handlung einer grausamen Ballade vertont die dritte Tondichtung „Sarka“. Die böhmische Königin Sarka lockt den Ritter Ctirad in ihr Lager, wo er und seine Männer abgeschlachtet werden. Ctirad überlebt und übt Rache: er lässt Sakra lebendig begraben. Einen ganz anderen Charakter hat die idyllische Beschreibung der Böhmischen Landschaft in „Z ceskych luhu a haju“ – „Aus Böhmens Hain und Flur“. Neben dem Eindruck der böhmischen Natur sind der Spaziergang eines Dorfmädchens, ein Gesang von Wallfahrern und eine freudige Polka in Tönen eingefangen.
Die beiden letzten Teile nehmen Bezug auf den alten Hussisten-Choral „Die ihr Gottes Streiter seid“, der nach der Hinrichtung von Jan Hus zum Symbol für die böhmische Reformation wurde. Die südböhmische Stadt Tabor war Hochburg der nach Jan Hus benannten Hussiten. In der Nähe der Stadt Tabor befindet sich der Berg Blanik, unter dem – so die Legende – ein Ritterheer schlafen soll, das dem tschechischen Land in schlechten Zeiten helfen soll. Der Hussisten-Choral verbindet sich mit Vysehrad-Thema der ersten Tondichtung und beschwört zum Abschluss des Zyklus die einstige und zukünftige Größe Tschechiens.
Johanna Wenninger-Muhr
Quellen: RMF, Wikipedia