Von Suse Rabel-Harbering
Die Entdeckung der Kapverdischen Inseln im Jahr 1462 wird Heinrich dem Seefahrer zugeschrieben, der im Auftrag der portugiesichen Krone unterwegs war. Vor der Entdeckung waren die Inseln menschenleer. Dank der günstigen Lage wurde der Archipel zu einem Zentrum internationaler Handelsbeziehungen, liegt er doch inmitten der drei Kontinente Afrika, Asien und Amerika. Gehandelt wurde neben Zuckerrohr, Rum und Salz, vor allem mit Sklaven. Seit Mitte des 16. Jahrhunderts hatte sich Portugal das ausschließliche Recht zur Vermarktung von Sklaven an der westafrikanischen Küste vorbehalten.
Zu ihrer Blütezeit hieß sie Ribeira Grande und war die Hauptstadt der Kapverdischen Inseln. Schon im Jahr 1533 erhielt sie die Stadtrechte. Danach wurde sie in Cidade Velha umbenannt. Seit 2006 heißt sie wieder Ribeira Grande de Santiago. Nur das historische Zentrum hat den Namen Cidade Velha behalten und zählt mit der Festung Sao Filipe seit 2019 zum UNESCO Kulturerbe. Heute ist es ein kleines Fischerdorf mit einem Pranger auf dem Marktplatz und mit einer wechselvollen Vergangenheit.
Ribeira Grande, am Rande des gleichnamigen Tales gelegen, entwickelte sich zu einer Hochburg des transatlantischen Sklavenhandels. Die an der westafrikanischen Küste und vom Inneren des Kontinents gefangen genommenen Sklaven wurden von hier aus nach Nord- und Südamerika verschifft. Eine wichtige Rolle sollte hierbei auch die Katholische Kirche spielen, galt es doch, die Sündhaftigkeit des kreolischen Lebens unter Kontrolle zu bekommen, vor allem aber den Wert der Sklaven durch Zwangstaufe zu steigern, bevor sie schließlich an den Meistbietenden veräußert wurden. Deswegen wurde in der Stadt im Jahr 1495 „Unserer lieben Frau vom Rosenkranz“, die erste christliche Kirche südlich der Sahara errichtet und außerdem ein Priesterseminar. Kirche und Kolonialmacht sicherten sich in den ersten zweihundert Jahren der portugiesischen Kolonialgeschichte durch den Sklavenhandel unermessliche Reichtümer. Obwohl der Sklavenhandel durch den Wiener Kongress im Jahr 1815 verboten wurde, ließen sich die Verantwortlichen für die Kapverden mit der Umsetzung Zeit bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Die kleinen Häuschen von Cidade Velha bezeugen die ursprüngliche, einfache Kolonialarchitektur. Sie wurden im Rahmen eines UNESCO-Projekts originalgetreu wieder errichtet und säumen die Straße der Bananen im historischen Ortskern.
Die Eisvogelfeder – eine winzige Feder in leuchtendem Blau
Eine winzige Feder in leuchtendem Blau liegt am Straßenrand. Sie wird von unserem Guide, als Eisvogelfeder identifiziert und es dauert nicht lange, bis sich ein solcher Vogel mit seinem blauem Gefieder anmutig auf einer Oberleitung niederlässt. Neckisch blickt er herab. Dann begleitet uns ein Stück des Weges ins grüne, mit Palmen,Papayas und Zuckerrohr bewachsene Tal hinaus. Fast 50 % der 160 Vogelarten der Inseln sind gefährdet, sagt unser Guide, der sich in einem Programm zum Schutz der Vögel auf der Insel engagiert. Über das trockene Plateau kehren wir zur Festung Sao Filipe zurück, die die einst überaus wohlhabenden Stadt vor Piraten und Angreifern schützen sollte.
Wir sind inzwischen auf der Insel Sao Nicolao angekommen. Auch hier sei der ausbleibende Regen das große Problem, meint Nadi, der uns auf unseren Wanderungen begleitet und in die Geschichte der Insel einführt. Sie wurde immer wieder von Dürreperioden heimgesucht. Am Schlimmsten war die Hungerkatastophe, bei der 1940 Tausende den Tod fanden und unzählige zur Emigration zwang.
Gleich nach der Unabhängigkeit 1975 ließ die ehemalige, protugisische Kolonialregierung im Queimedatal bei Faja einen Staudamm errichten, der sich schnell als Flop erweisen sollte, denn das Wasser versickerte im Vulkangestein bevor es im Staubecken aufgefangen werden konnte. Ein ähnliches Schicksal war dem von China im Jahr 2013 errichteten Staudamm bei Assomada auf der Insel Santiago beschieden, hier allerdings wegen mangelnden Regens. Daher nahmen die Bewohner des Queimada Tals mit französischer Unterstützung die Bewässerung selbst in die Hand und bohrten die in tieferliegenden Schichten des Gesteins angesammtelten Wasserbestände an. Nun gedeihen auf Feldern und Gewächshäusern Kartoffeln und Koriander, Bohnen und Bananen, Mangos und Maniuk, Tomaten, und Frühlingszwiebel. Auch im Naturpark Monte Gordo mit dem höchsten Berg der Insel breitet sich wohltuendes Grün aus. Ein Nebelwald mit Kiefern, deren Wipfel sich im Wind wiegen überzieht den Nordhang.
Neben ihrer besonderen Naturschönheit gewann Sao Nicolao auch kulturhistorische Bedeutung. Dem im 19. Jahrhundert eingerichteten Priesterseminar wurde eine weltliche Schule angegliedert, zu der nicht nur Mädchen Zugang bekamen, sondern in Einzelfällen auch Kindern aus armen Familien. Die Schule entwickelte sich zu einem geistigen Zentrum und das hohe Ausbildungsniveau verschaffte den Absolventen Zugang zu Universitäten in Europa und zu staatlichen Ämtern. Allerdings wurde durch die Trennung von Kirche und Staat in der portugiesischen Republik das Seminar geschlossen und die Schule nach Mindelo verlegt.
Von Faja aus windet sich der Weg in Serpentinen fast senkrecht hoch bis zum Pass. Die Sonne brennt. Der Wind steht still auf den sogenannten Inseln über den Winden, zu der Sao Nicolao gehört. Wie ein Ornament umranken harmonisch angelegte Terrassen mit Maisstauden, Erdnusssträuchern und Zuckerrohr die steilen Felswände. Fast jeder Einwohner der Bergdörfer trägt eine Spitzhacke über der Schulter, um seine Scholle zu bearbeiten. Traktoren sind unter den Gegebenheiten nicht einsetzbar und wie andere landwirtschaftliche Maschinen, ohnehin unerschwinglich. Von den einstigen Vulkanen und Kratern ragen Zacken, Zinken und Zipfel in den blauen Himmel und Stelen und Obeliske formen die Felswände zu monumentalen Skulpturen.
Wachsam blickt ein Falke von seinem hohen Aussichtspunkt herab als wolle er uns grüßen, bevor er mit gleichmäßigem Flügelschlag in die Lüfte empor schwebt. Wir genießen den Blick aufs Meer und die einzigartige Landschaft – schroff und gleichzeitig lieblich, abweisend und anziehend, atemberaubend und meditativ – scheint sie alle Gegensätze in sich zu vereinen.
Nachdem wir einen weiteren Pass erklommen haben geht es hinunter in das Dorf Praia Branca, der Geburtststätte eines der bekannteststen Lieder von Cesaria Evora „Sodade“. Mit ihm erlangte die berühmteste und einflussreichste Sängerin der Kapverden Weltruhm. Sie starb im Jahr 2011 in Mindelo.
Musik sei die Seele der Kapverden, sagt unser Guide Nadi. Sie sei aus dem Alltag nicht wegzudenken. Allabendlich treten in den Cafes der Städte Bands auf und begleiten die Sänger bis in die Nacht. Nadi erläutert die traditionelle Musikkultur, deren wichtigsten Element „Morna“ und „Caldera“ sind. In den Liedern wird der Trennungsschmerz besungen, den Arbeitsmigranten weit weg von Heimat und Familie erleiden mussten. Themen sind außerdem das harte Leben auf den Inseln, der ausbleibende Regen, der Kampf gegen Unterdrückung, Sklaverei und Kolonialmacht. Instrumental wird der Gesang von einer Geige und von Gitarren begleitet.
Die Kraft der Rhythmen mit afrikanischen, lateinamerikanischen und europäischen Einflüssen vermochten einst auch böse Geister fern zu halten.
Armut, Dürreperioden und Hungersnöte zwangen viele Kapverdianer immer wieder ihre Lebensgrundlage im Ausland zu sichern. Die ersten Auswanderer verdingten sich auf amerikanischen Walfängern aber auch in den Niederlanden gab es für Seeleute bessere Möglichkeiten als zu Hause. So kommt es, dass zwei Drittel der Bevölkerung der Kapverdischen Inseln heute in der Emigration leben, vorzugsweise in Amerika, in Protugal und in den Niederlanden. Sie unterstützen ihre Familien zu Hause mit Geldzuwendungen für den eigenen Hausbau. Dennoch prägen Bauruinen oder Rohbauten das Bild von Städten und Dörfern. Sind die finanziellen Rückflüsse zu gering, handelt es sich vielleicht um Initiativen von Zurückgebliebenen ohne „reichen Onkel“ in Übersee oder will man sich einfach nicht aus der Ruhe bringen lassen, nur wegen einer unvollendeten Behausung ohne Verputz, ohne Fenster, ohne Dach. Dass die Emigranten wichtig sind zeigt die Flagge des Landes. Von den elf aufgeführten Sternen symbolisieren zehn die jeweiligen Inseln. Der elfte Stern steht für die Kapverdianer im Exil.
Das bunte Völkergemisch aus Menschen mit gambischen, guinesischen oder senegalesischen Wurzeln sorgt mit seiner Gelassenheit hier wie dort für angenehmes afrikansisches Flair.
Wichtig zu wissen:
Der Bericht entstand im Rahmen der von Hauser Exkursionen, www.hauser-exkursionen.de durchgeführten Reise, Kapverden – Afrikas Inselwelt im Atlantik, Die Reiseleitung hatte Doris Minke.