Innerhalb von acht Wochen hat sich alles geändert. Nach dem Ende der Krise wird die Branche eine andere sein. Der Großteil der Airlines rechnet inzwischen nicht damit, dass es vor 2022 zu einer Normalisierung der Nachfrage kommt. Die Luftfahrt erlebt durch den Ausbruch der Covid-19-Pandemie die größte Krise ihrer Geschichte. Inzwischen ist auch klar: Es handelt sich nicht um eine kurze, schwierige Phase, sondern um eine Zäsur.
Auch wenn vor der Krise Fluggesellschaften weltweit Rekordzahlen an Passagieren transportierten – wirklich gut ging es nur einer Minderheit. Das rasante Wachstum der Branche – getrieben von billigem Kapital und tiefen Kerosinpreisen – in den vergangenen Jahren war nur für die wenigsten profitabel. Alle anderen hatten zu kämpfen. Das zeigte sich auch in der zunehmenden Zahl an Pleiten der vergangenen Jahre. Air Berlin, Germania, Small Plant, Wow Air … sie alle konnten im Umfeld niedriger Preise und starker Konkurrenz nicht bestehen. Das lag auch daran, dass die Preise immer weiter sanken – so weit, dass selbst Airlinechefs sagten: Es reicht. Lufthansa-Chef Carsten Spohr etwa verurteilte in den vergangenen Jahren mehrfach Ultrabilligangebote wie 10-Euro-Tickets. Das sei ökonomisch und ökologisch sinnfrei, so seine Argumentation.
In einem solchen Umfeld konnten es sich die großen Anbieter – wenn auch zähneknirschend – leisten, mitzuhalten. Kleinere aber konnten nicht mehr kostendeckend fliegen. Immer wieder redete man in der Branche darüber, dass eine Korrektur bei den Preisen genauso unvermeidlich sei wie die zunehmende Konsolidierung, also Insolvenzen und Zusammenschlüsse. Solch grundlegende Veränderungen erhalten durch die Krise nun maximalen Schub.
Schon in den ersten Monaten der Krise zeigte sich: wer vorher schon finanziell zu kämpfen hatte, ist nun akut gefährdet. Ein paar Airlines mussten daher bereits aufgeben. Als eine der ersten war die britische Regionalairline Flybe insolvent. Es folgten die schwedische Braathens, und LGW in Deutschland. South African steht auf der Kippe, Air Mauritius, Virging Australia und vier Tochterfirmen von Norwegian sind insolvent und stehen vor einer ungewissen Zukunft. Dabei wird es aber nicht bleiben. Gut möglich, dass es nach Krisenende zu mehr Pleiten als während des aktuellen Groundings kommt. Denn auch wenn einige Fluglinien es jetzt noch schaffen, sich Liquidität zu beschaffen, um durch die Trockenphase zu kommen; der Neustart wird hart und erfordert Durchhaltevermögen. Und da werden diejenigen, die vor der Krise gut aufgestellt waren und sich Reservepolster angelegt hatten, als Sieger hervorgehen.
Es wird eine Lufthansa Group mit weniger Flugzeugen sein
Es werde eine kleinere Lufthansa Group sein, kündigte Lufthansa-Chef Carsten Spohr bereits im März an. Alle Fluggesellschaften der Gruppe schrumpfen infolge der Krise. Lufthansa selber flottet unter anderem etliche Flugzeuge früher aus – etwas sechs Airbus A380 und fünf Boeing 747-400. Ob und wann die derzeit in Spanien geparkten Airbus A340 wieder zur Flotte stoßen, ist unklar. Auch bei Austrian, Swiss und Brussels kommt es zu Anpassungen – unter anderem durch spätere Auslieferungen oder früheres Ausflotten. Rund 100 Flieger weniger wird die Gruppe nach der Krise haben. Wie die Lufthansa-Gruppe halten es auch fast alle anderen Airlines weltweit. Flieger, die ohnehin in den kommenden Jahren in Rente geschickt werden müssen, verlassen die Flotten nun früher, Auslieferungen neuer Flieger werden neu verhandelt, um sie auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben oder Orders reduziert. Auch Ryanair, die finanziell vergleichsweise gut dasteht, kündigte ähnliche Maßnahmen sowie Schließungen verschiedener Basen an.
Neue Flottenpolitik der Airlines wird zum Abschied von bestimmten Flugzeugtypen führen
Die neue Flottenpolitik der Airlines wird dazu führen, dass sich die Fans früher als gedacht von einigen ihrer Lieblingsflieger verabschieden müssen. Die Anzahl von Boeing 747 oder Airbus A380, die dürfte sich schneller reduzieren, als gedacht. KLM etwa zog die Ausflottung der Jumbo-Jets wegen der Krise vor, auch Corsair legte ihre letzten Boeing 747 ein Jahr früher als geplant still. Air Transat verabschiedete sich früher als geplant vom Airbus A310, und auch vom Airbus A340 dürfte es bald deutlich weniger Exemplare in den weltweiten Flotten geben.
Vor der Krise kam Airbus gar nicht mehr mit den Auslieferungen nach. Die Nachfrage vor allem nach Kurz- und Mittelstreckenjets war so hoch, dass der Flugzeugbauer die Produktion der A320-Neo-Familie immer weiter hoch schraubte. Damit ist es nun vorbei. Kleinere Flotten bedeuten auch weniger Nachfrage nach neuen Jets. So gab der europäische Konzern bereits bekannt, den Ausstoß verschiedener Modelle herunterzuschrauben. Wann sie wieder das Vorkrisenniveau erlangt, muss sich zeigen, doch es wird wohl lange dauern.
Boeing hatte schon vorher, auch durch die Probleme mit der 737 Max, zu kämpfen. Der geplante Neustart in diesem Frühjahr findet nicht statt. Auch Boeing leidet zudem unter der sinkenden Nachfrage von Airlines. Wohl auch wegen der finanziellen Belastung durch die Krise scheiterte auch der Plan, ein Joint Venture mit Embraer zu gründen. Leiden werden beide: Airbus und Boeing. Die Beratungsfirma Roland Berger etwa rechnet mit einem Minus von 27 Prozent beim Bedarf an neuen Flugzeugen bis zum Jahr 2030.
Airbus und Boeing
Wie es derzeit aussieht, dürfte von den beiden Flugzeugbauern Airbus stärker aus der Krise hervorgehen als Boeing. Denn die Regionaljets der E2-Serie bleiben nun Konkurrenten, statt ins eigene Portfolio überzugehen. Der Hersteller aus den USA kann daher weder dem Regionalflieger Airbus A220 etwas entgegensetzen, noch den reichenweitenstarken Versionen LR und XLR des Airbus A321. Und gerade kleinere Flugzeuge dürften nach der Krise besonders wichtig sein, denn wegen der geringeren Nachfrage gibt es auch weniger Sitze zu füllen. Zudem war Boeing schon vorher finanziell angeschlagen.
Preise: erstmal niedrig, dann höher?
Wenn das Flugangebot wieder hochgefahren wird, werde es nach einer Analyse von Laura Frommberg für Aero telegraph zunächst wohl heißen: Hauptsache, die Flieger sind voll. Es dürfte also eine Weile lang möglich sein, ziemlich günstig zu fliegen. Beim Blick nach China erhalte man davon einen ersten Eindruck. In der Volksrepublik läuft der Inlandsflugverkehr bereits seit Mitte Februar wieder an. Es gibt mittlerweile wieder halb so viele Flüge wie in Zeiten vor Corona. Doch die Nachfrage bleibt aus. Daher bieten die Fluggesellschaften Tickets zu Dumpingpreisen an. Ab der Stadt Xianjing etwa bietet Chinas größte Airline China Southern Airlines Flüge für 10 bis 20 Prozent des sonst üblichen Preises an. Shenzhen Airlines bot Flüge von Shenzhen nach Chengdu – eine etwa 1300 Kilometer weite Strecke – für umgerechnet 65 Cent an. Andere versuchen es mit Mengenrabatten oder Flatrate-Flügen für ein Jahr für umgerechnet 26 Euro.
Doch selbst wenn es auch in Europa anfangs zu einer ähnlichen Entwicklung kommen dürfte – mittel- bis langfristig müsse man sich auf steigende Flugpreise einstellen. Das liege zum einen daran, dass das Angebot kleiner sein werde, weil viele Fluglinien pleite gehen, fast alle kleiner werden und Strecken streichen würden. Zum anderen aber könnten auch die Kosten der Anbieter steigen. Ähnlich wie nach dem 11. September könnte es auch nach dieser Krise zu neuen Standards kommen. Waren es nach den Anschlägen auf das World Trade Center Maßnahmen wie verschärfte Sicherheitskontrollen und verschlossene Cockpits, werde es dieses Mal die Hygiene betreffen. Strengere Reinigungsvorschriften, Fiebermessen, Gesundheitschecks schon vor dem Flug – was genau sich ändern wird, sei noch nicht klar. Doch all das kostet Geld.
Vor allem Langstreckenflüge dürften nicht mehr so günstig sein wie bisher. Denn dort könnte sich das Angebot noch mehr verringern als zum Beispiel in Europa, denn hier gebe es mit Anbietern wie Ryanair, Easyjet oder Wizz Air weiterhin finanzstarke Billigairlines, die das Preisniveau einigermaßen niedrig halten dürften – wenngleich wohl auch etwas höher als zuvor.
Angst vor Ansteckung wird Nachfrage reduzieren
Die Passagierrekorde von 2019 bleiben noch eine ganze Weile lang ungebrochen. Zwar prophezeien einige Airlines, dass die Nachfrage im Jahr 2022 auf Vorkrisenniveau ankommt. Doch auch das ist ziemlich optimistisch. Der Grund dafür sind nicht in erster Linie Reisebeschränkungen oder die Angst vor Ansteckung.
Die Weltwirtschaft steht vor der größten Rezession seit langer Zeit. Viele Menschen verlieren ihren Job und können sich Reisen nicht mehr leisten. Immerhin braucht es neben den Flugtickets oft auch Hotels, Mietwagen und ein Taschengeld.
Und auch wenn die Erholung komme und wieder mehr Leute auf Reisen gingen, sei es gut möglich, dass die neue Normalität auch zu einem Umdenken geführt hat, was die Art zu Reisen angeht. Werden schnelle Wochenendtrips ins Ausland weiterhin so gefragt sein wie jetzt? Das müsse sich zeigen.
Auch bei Geschäftsreisen ist ein Nachfragerückgang zu erwarten. Viele Unternehmen bemerken derzeit, dass sich zumindest ein Teil der Meetings auch gut per Videokonferenz abhalten lässt. Natürlich wird es aber auch immer Treffen geben, die sich nicht per Video abhalten lassen. Dennoch könnten Geschäftsreisende auch auf andere Transportwege umsteigen. Laut einer Studie der Schweizer Großbank UBS steigt die Toleranz von Geschäftsreisenden, was die Länge von Zugreisen betrifft. Statt zwei bis drei Stunden können sich die Befragten inzwischen vorstellen, vier Stunden im Zug zu verbringen. Bei Freizeitreisenden sind es sogar sechs Stunden. In dieser Zeit lassen sich bis zu 500 Kilometer zurücklegen. Solche Strecken machten 2019 rund ein Fünftel des europäischen Marktes aus. Gerade weil Business-Flüge für Airlines ein lukratives Segment sind, müssen viele Fluglinien nun schauen, wie sie die dadurch fallenden Einnahmen ersetzen.
Gesundheitszustand vor dem Flug deklarieren
Auch für Passagiere wird sich Post-Corona wohl einiges ändern. Auf welche Maßnahmen genau man sich einstellen muss, und welche davon von Dauer sein werden, steht noch nicht fest. Viele Airlines kündigen momentan eine Maskenpflicht im Flugzeug an. Doch dass diese auch langfristig aufhalten wird, ist unwahrscheinlich. Gut möglich ist hingegen, dass es Standard wird, seinen Gesundheitszustand vor dem Flug zu deklarieren. Auch Kontrollen der Körpertemperatur vor dem Einsteigen könnten als Maßnahme zum Schutz vor Infektionen zunehmen. Einige Fluggesellschaften haben solche Kontrollen bereits eingeführt. Der Fokus auf Hygiene wird wohl überall spürbar sein, Hinweise am Flughafen und im Flugzeug dürften bald wie Sicherheitshinweise oder der Aufruf, aufs Gepäck zu achten, zum Reiseerlebnis gehören. Einige Airlines haben spezielle Schutz-Uniformen eingeführt, die ihre Angestellten während der Corona-Zeit tragen. Die Schutzanzüge und Visiere vor den Gesichtern dürften langfristig nicht zum Standard werden. Handschuhe, Desinfektionsmittel und vielleicht auch Gesichtsmasken würden wir aber an Bord wohl deutlich öfter sehen. Auch auf häufigere Reinigungen viel genutzter Bereiche während des Fluges müssen (oder dürfen) wir uns einstellen.
Was die Hygiene betrifft, fahren die Fluggesellschaften ihre Bemühungen hoch. Schon jetzt haben einige angekündigt, auch nach der Krise eine deutlich gründlichere Reinigungsroutine einzuführen. Delta etwa begann ab dem 1. April, in allen Flugzeugen über Nacht die Kabinen mit Desinfektionsmittel einzunebeln. Vor jedem Flug wird neuerdings außerdem nach den gleichen Standards gereinigt, die für die Nacht-Säuberung gelten. Dazu gehört das Desinfizieren von Tischen, Touchscreens, Armlehnen und Sitztaschen. Das werde man auch in Zukunft so beibehalten. Viele andere Fluglinien zogen bereits nach.
Weniger Direktflüge, mehr umsteigen
In der neuen Luftfahrtwelt nach dem Coronavirus wird es wohl erst einmal weniger Ziele im Angebot geben als zuvor. Wenn die Airlines ihr Angebot nach und nach wieder hochfahren, werden sie sich auf die lukrativen Strecken mit hohen Margen konzentrieren. Wer an weniger stark nachgefragte Destinationen reisen will, muss sich darauf einstellen, umzusteigen. Vor der Krise hatte der Trend eindeutig hin zu mehr Direktflügen gezeigt. Damit dürfte es vorerst vorbei sein. Fluggesellschaften, die in Joint Ventures oder Allianzen mit anderen Airlines verbunden sind, haben jetzt einen Vorteil, weil sie weiterhin dank ihrer Partnerschaften eine große Zahl an Zielen anbieten können.
Auch auf kürzeren Strecken dürfte es Veränderungen geben. Inlands- oder Regionalflüge unter einer bestimmten Kilometerzahl dürften seltener werden, weil – wie weiter oben erklärt – der Zug zu einer realistischeren Alternative wird. Solche Strecken standen im Rahmen der Diskussion um die Klimaschädlichkeit des Fliegens ohnehin auf dem Prüfstand. Eine Chance hingegen könnte die aktuelle Krise für Ultralangstreckenprojekte wie Qantas’ Project Sunrise bedeuten – auch wenn sich das zunächst paradox anhört. Doch durch den rekordtiefen Treibstoffpreis könnten Strecken wie Sydney – London für die Airlines deutlich günstiger werden. Voraussetzung ist allerdings eine hohe natürliche Nachfrage auch von Geschäftskunden.
…und die Umwelt?
Flugscham war das von der Branche wohl meistgehasste Wort 2019. Immer mehr Menschen gaben an, wegen der schädlichen Auswirkungen aufs Klima lieber auf das Fliegen zu verzichten. Dass die Branche nicht zu den umweltfreundlichsten gehört, lässt sich denn auch schlecht leugnen. Airlines hatten daher zunehmend auf Kompensationsmodelle gesetzt, in denen Reisende Zertifikate kaufen konnten, um ihren CO2-Ausstoß auszugleichen. Myclimate, Atmosfair oder Compensaid verzeichen nun deutlich weniger Einnahmen für Ihre Klimaschutzprojekte, in die mit dem Geld der Passagiere investiert wird.
Wird die Branche klimafreundlicher? Vermutlich. Allein dadurch, dass der Zug gegenüber dem Flug an Attraktivität gewinnen dürfte und generell weniger geflogen wird, verringert sich auch der Ausstoß. Hinzu kommt aber auch, dass viele Airlines ihre alten Modelle früher als geplant aus den Flotten entfernen. Auch das könnte immerhin einen kleinen Effekt auf den CO2-Ausstoß haben. Weniger gut sieht es allerdings wohl aus, was Investitionen in neue, effizientere Flieger angeht. Auslieferungen werden, wie oben bereits erwähnt, wohl tendenziell nach hinten verschoben. Und für gewisse Projekte dürfte jetzt schlicht das Geld fehlen.
Klar ist aber: Fliegen werden die Menschen immer. Denn das Bedürfnis zu Reisen, ferne Länder zu entdecken wird auch durch eine Krise nicht abnehmen. Doch statt einer Selbstverständlichkeit ist es vielleicht wieder – so wie in den Anfängen – ein Privileg.