
Carl Orff hat nie gemacht, was andere für richtig gehalten, oder ihm vormachen wollten – ein Individualist, der sich für klassische Gattungen wie Sinfonie, Streichquartett oder Konzert nicht interessiert.
1934 sucht der knapp 40-jährige Orff nach einem Stoff, der ihm zum großen Durchbruch verhelfen soll. „Fortuna hatte es mit mir gut gemeint“, gibt er später zu. In einem Würzburger Antiquariats-Katalog entdeckt er einen Titel, der ihn „mit magischer Gewalt anzog“. Gemeint ist die Sammlung „Carmina Burana“ mit Lied- und Dramentexten, mit Trink- und Liebesliedern, moralisch und satirisch gleichermaßen, ein europäisches Kompendium aus dem Mittelalter. Die Urheber der Texte sind meist unbekannt. Die einzige erhaltene Handschrift stammt von etwa 1230.
In diesem Buch wird das Leben gefeiert, die Liebe, der Eros. Auch enthält es die Klage über das Wirken der launischen Göttin Fortuna, der Glücksgöttin.
Orff sucht in Carmina Burana nach Aussagen, die über dem Musikalischen stehen. Doch er findet auch Texte, die mitten im Leben stehen: „Estuans interius“ ist eine ungehemmte Würdigung des Diesseits, eine Fress- und Sauforgie von Mönchen und Äbten.
In einer Phase -erst kurz geschieden und knapp bei Kasse – beginnt Orff seine Komposition mit geradezu fieberhaftem Eifer. Schon nach einem Tag und einer schlaflosen Nacht sind die Skizzen für den Eingangschor fertig. Die weitere Arbeit erstreckt sich über die Jahre 1935 und 1936. Die Uraufführung von Orffs Carmina Burana erfolgte am 8. Juni 1937 in der Oper zu Frankfurt am Main.
Orff schreibt eine Musik, die zündende Melodien enthält, die raffiniert instrumentiert ist mit farbigen Orchesterklängen und die von markanten Rhythmen lebt. Damit ist der spätere Erfolgsweg vorgezeichnet: Ob Michael Jackson, ob bei Rappern von heute, ob in der Kino-Geschichte, ob als Klangkulisse für Boxkämpfe oder Werbespots. Orffs Musik zieht ein breites Publikum in den Bann. Das gilt vor allem für das einleitende „O Fortuna“, den hymnischen Eröffnungschor, ein musikalischer Powerseller, viel gehört, viel geschmäht und geliebt. Allein mit dieser Musik, die Orff nicht nur an den Anfang, sondern auch an den Schluss seiner Carmina setzt, hat er ein Lebensziel erreicht: Das schönste Denkmal für einen Komponisten ist, wenn er im Spielplan bleibt. Wie jedes Jahr ist es auch ein Highlight im Programm des Rheingau Musik Festival.
Und so wurde Orffs Carmina Burana auch in diesem Jahr wieder mit großer Begeisterung vom Festival Publikum des Rheingau Musik Festivals aufgenommen. Mit frenetischem Applaus und Standing Ovations honorierte und würdigte das Publikum in der Basilika des Kloster Eberbach die Darbietungen des Gürzenich-Orchesters Köln unter der Leitung von Andres Orozco-Estrada, des Kammerchors der Universität zu Köln, der Knaben und Mädchen des Kölner Dommusik Bürgerchors Köln, der 28 jährigen lettischen Sopranistin Annija Adamsone, des Tenors Micheal Schade, einer der führenden Tenöre unserer Zeit und des weltweit gefragten Baritons Michael Nagye.
Johanna Wenninger-Muhr