Von der Faser bis zum Stoff

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Foto Wolfgang Günzel

Dank des von Ariadne selbst gesponnenen roten Wollfadens konnte es ihrem Geliebten Theseus gelingen, den gefürchteten Minotauros zu besiegen und entlang des besagten roten Fadens wieder unversehrt aus dem Labyrinth in die Freiheit zu gelangen. Im Museum für Weltkulturen in Frankfurt erzählt die  Ausstellung „Der rote Faden“ über die handwerkliche Herstellung von Textilien in unterschiedlichen Kulturen und veranschaulicht den spannenden Prozess von der Faser über den Faden bis zum Stoff .

Nicht nur in Mythen und Märchen wird Garn zu Gold gesponnen, auch im alltäglichen Sprachgebrauch schlagen sich Redewendungen nieder, die der textilen Herstellungsweise entstammen. Wir verknüpfen Gedanken, nehmen einen Gesprächsfaden wieder auf, und manchmal läuft eben nicht alles wie am Schnürchen.

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Foto: Wolfgang Günzel

Es sei in der Tat sehr schwierig gewesen, innerhalb des komplexen Themas bei der Vorbereitung zur Ausstellung „den roten Faden“ nicht zu verlieren, betont die Kuratorin der Ausstellung Vanessa von Gliszczynski. Allein eine Auswahl aus dem umfassenden Fundus zu treffen, denn das Museum für Weltkulturen verfüge über ungefähr 3000 Textilien aus verschiedenen Kulturen. Darunter befinden sich Schätze aus Palmblättern oder Bastfasern aus dem Kongo, präkolumbianische Textilien in wunderbaren Farben aus Peru und Bolivien oder Objekte aus Rindenbast aus Ozeanien, die noch nie der Öffentlichkeit gezeigt werden konnten. Dazu kommen die zur Verarbeitung notwendigen Gerätschaften wie Kämme und Webstühle oder Pigmente.

Textilen – Ausdruck von Macht

Gleich in der ersten Vitrine im Eingangsbereich ist eine Vielzahl von pflanzlichen und organischen Fasern wie Agave, Brennesel, Flachs, Hanf, Rindenbast, Haare, Wolle oder Seide versammelt, aus denen Fäden oder Schüre entweder von Hand auf dem Oberschenkel gerollt oder mit Spindel oder Spinnrad verdreht werden. Fäden und Garne sind wichtige Bestandteile des Textils, das als Kleidungsstück schon immer dazu diente, den Körper vor Hitze oder Kälte zu schützen. Gleichzeitig sind Textilien Ausdruck von Schmuck oder auch von Macht, was durch bestimmte Motive, Materialien und auch Farben betont wird.

Dabei kommt dem Färben eine wichtige Bedeutung zu, denn jede Kultur verfügte über ihre eigene Farbpalette sowie über ihre eigenen natürlichen Ressourcen von Farbstoffen. So sind beispielsweise im indonesischen Archipel Indigofera (Dunkelblau) und Morinda citrifolia (Gelb- und Rottöne) verbreitet. Außerdem werden Sappanholz (Gelb- und Rottöne) und die Mangrovenart Soga (Brauntöne). Das Fachwissen über das Färben wird von den Müttern an die Töchter weitergegeben. Durch die Erfindung synthetischer Farbstoffe Mitte des 19. Jahrhunderts wurde  die komplexe Tätigkeit des Färbens von Hand weitgehend verdrängt. Wer sich je mit Batiken vertraut gemacht hat, weiß welche Konzentration und welches Vorstellungsvermögen für den Prozess vonnöten sind.

Umfassende Kenntnisse über kosmische Zusammenhänge

Die Vielfalt  textiler Techniken wie Knüpfen und Flechten, Sticken und Stricken, beschränkt sich in der Ausstellung hauptsächlich auf die Webkunst in unterschiedliche Kulturen. Das Weben umfasst die manuelle Beherrschung verschiedener Webtechniken als auch die Anfertigung bestimmter Muster. So sind bei der Verfertigung in den Anden beispielsweise umfassende Kenntnisse über kosmische Zusammenhänge Voraussetzung, die in Muster und Farben visuell umgesetzt werden müssen.  Die Ausstellung verdeutlicht, welch hohe kognitiven Kompetenz das manuelle Verfahren erforderte, bevor es von der industriellen Herstellungsweise überholt wurde. Die Zäsur markiert eine Lochkarte, die neben Spindeln und Spulen plötzlich auftaucht. Joseph Jacquard, Sohn eines  aus Lyon stammenden Webers hatte das Verfahren für die Tuchherstellung im 19. Jahrhundert entwickelt. Mit dem neuen Datenträger konnten großflächig Muster in den Stoff eingewoben werden. Jacquardmuster erfreuen sich in Frankreich noch immer großer Beliebtheit.

Bis in die Moderne strecken im Museum für Weltkulturen Fäden ihre Fühler aus. So dürfen wir neben bunten Ponchos und Kokataschen, die durch materialschonende Beleuchtung im Halbdunkel fast schon geheimnisvoll wirken, auch geflochtene Körbe und Matten aus Aquarellpapierstreifen sowie geflochtene Foto- und Textcollagen der amerikanischen Künstlerinnen Shan Goshon und Sarah Sense bewundern. Beide Künstlerinnen reflektieren in ihren Werken ihre indigene Herkunft und lassen auf subtile Weise Texte in ihre Textilien einfließen.

Was Textilien darüber hinaus noch erwirken können, verrät das Projekt „Musikalische Texturen“. Zu hören sind instrumentale und elektronische Kompositionen von Raphael Lanquillat und Tobias Hagedorn, zwei junge Studenten der Musikhochschule in Frankfurt. Sie haben sich von Stoffen aus Java und Ostindonesien inspirieren lassen. Schließlich verweisen Fotos auf die Auswirkungen der globalen Textilindustrie auf unsere Umwelt.

Suse Rabel-Harbering

Weitere Information: http://www.weltkulturenmuseum.de

Führungen: samstags und sonntags 15.00 Uhr

Außerdem gibt es am 18.01.2017 um 19.00 Uhr ein Konzert von Terry Riley https://www.youtube.com/watch?v=apxuRKWmEJs mit Studierenden der Hochschule für Musik in Frankfurt.

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