Klatschmohn, Kornblumen und Vergissmeinnicht

SUSE Frankreichreisen Klatschmohn
Klatschmohn am “Mèmorial National Australien” Suse Rabel-Harbering

Klatschmohn begleitet uns. Kaum eine Stadt, kaum ein Dorf, das sich nicht damit schmückt. Die rote Blume gilt als Friedens- und Erinnerungssymbol für die im Ersten Weltkrieg verstorbenen Kriegsteilnehmer aus dem britischen Imperium.

In den dünn besiedelten Regionen Nordfrankreichs dauert es lange bis man von einem Dorf zum anderen gelangt. Doch immer wieder stößt man auf Militärfriedhöfe, Mahnmale und Begegnungsstätten. Sie breiten sich entlang der Westfront aus, die sich von der belgischen Grenze bis zu den Vogesen erstreckt und wollen die Erinnerung an die Kriege, die hier tobten und für Tote, Verwundete und Verwüstung sorgten, wachhalten. Über Gräber und Gräben hinweg wollen sie zur Versöhnung beitragen. In diesem Jahr, 100 Jahre nach dem Ersten Weltkrieg wird in den Ländern, die daran beteiligt waren, mit vielfältigen kulturellen Veranstaltung und Gedenkfeiern des  Ereignisses und seiner Folgen gedacht.

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Mémorial National Australien in Villers-Bretonneux, Werner Gladines

Die Tourismusverbände Nordfrankreichs binden die Erinnerungsstätten in ein Netz von Rundwegen ein, die man auch zu Fuß oder mit dem Fahrrad erkunden kann. Nicht selten weist eine Klatschmohnblüte aus Plastik den Weg.

Unweit der mittelalterlichen Stadt Arras, deren wieder aufgebautes Zentrum zwei Markt-plätze mit herrlichen Fassaden in teils flämischem, teils barockem Stil bilden und auf eine merkantile Vergangenheit hinweisen, liegt der Steinbruch von Wellington. Im Mittelalter wurde hieraus Baumaterial für bedeutende Kathedralen gewonnen.
Während des ersten Weltkriegs gelang es den Verbündeten Frankreichs, den felsigen Grund zu unterhöhlen. In 20 Meter Tiefe legten sie sowohl Tunnels als auch eine unterirdische Kasernenstadt für 20 000 Soldaten aus dem Commonwealth an. Heute dient die Anlage als Museum. Es ist feucht und kalt. An manchen Stellen tropft es. Zum Schutz gegen Steinschlag tragen wir Helme aus Metall. Man mag sich ein Leben unter derartigen Bedingungen erst gar nicht vorstellen.

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Kapelle im “Musée du chemin des Dames, Werner Gladines

In Cerny-en-Laonnois in der Picardie durften in diesem Jahr die Radrennfahrer der „Tour de France“ eine Etappe gesäumt von einem Teppich aus Kornblumen zurücklegen. Passend zu den blauen Uniformen wurde für die Soldaten Frankreichs während des Ersten Weltkrieges die Kornblume als Friedenssymbol ausgewählt. Leider habe es an dem Tag geregnet wie aus Kübeln geschüttet, sagt Christelle Clément, die uns auf unserer Rundreise begleitet.Der Höhenzug „Chemin des Dames“ erstreckt sich inmitten einer lieblichen Landschaft. Seinen wohlklingenden Namen „Damenweg“ verdankt er einigen Damen aus der Entourage Ludwig XIV, der in der Gegend eine Sommerresidenz unterhielt. Was hätten die höfischen Begleiterinnen wohl zu dem Meer aus Kornblumen gesagt?

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Le Chemin-des- Dames,_Bleuets, Christelle Clément

Die südlichen Hänge des Kalksteinplateaux waren einst mit Weinbergen bewachsen. Von hier aus hat man einen schönen Blick über das Tal der Aisne. Ausgerechnet hier fanden während der kriegerischen Auseinandersetzungen besonders blutige Kämpfe statt. Dank seiner geologischen Beschaffenheit bot sich der strategisch wichtige Punkt (ca. 150 km von Paris entfernt) zum Angriff aber auch zur Verteidigung an. Daher gruben deutsche Truppen in den Tiefen des Gesteins ein Netz unterirdischer Höhlen und Gänge. Gut versteckt in der unterirdischen Stadt und auch mit dem Notwendigsten versorgt – es gab eine Post, eine Krankenstation, eine Kapelle, ja sogar einen Konzertsaal –  konnten sie lange ihre Stellung halten. Heute wird die Drachenhöhle („Caverne du Dragon“) als Museum genutzt. Heike Esquevin, unserer Leiterin, weist auf die noch sichtbaren Besonderheiten der deutschen Besatzer hin: Pumpenschlüssel sofort nach Beenden beim Kommandanten abgeben, ist auf einer rot markierten Stelle in der Felswand zu lesen.

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Als wir aus dem Untergrund wieder auftauchen, hat sich der Nebel gelüftet. Erst jetzt nehmen wir im Park hoch aufragende Skulpturen wahr als wollten sie zum Himmel flehen. Sie sind dem Genie des Künstlers Christian Lapie zu verdanken. Das Kunstwerk heißt „Constellation de la douleur“, was man mit „Ausdruck des Schmerzes“ übersetzen kann. Es ist eine Hommage an Soldaten,(„Mitrailleurs sénégalais“), die aus den afrikanischen Kolonien Frankreichs rekrutiert wurden. Farbige Soldaten mussten neben der für sie schwer adaptierbaren klimatischen Bedingungen besonders perfide Diskriminierungen erfahren.

Beim Angriff der Franzosen im Frühjahr 1917 kam es zu hohen Verlusten auf beiden Seiten. Das Dorf Craonne wurde vollständig zerstört. Nach dem Krieg wurde Craonne weiter westlich wieder aufgebaut. Die Ruinen der einstigen Kirche, der Zugang zum Keller des Rathauses und verfallenes Gemäuer sind inmitten des Waldes noch zu erkennen. Sonst hat sich die Natur das Terrain zurückerobert. Doch ein Winzer hat es sich nicht nehmen lassen, an einem sonnigen Südhang wieder Reben zu kultivieren.

Auf dem Rückweg besuchen wir den größten deutschen Militärfriedhof „La Maison blanche“ in Neuville-Saint-Vaast und die im Nachbardorf  Ablain-Saint-Nazaire gelegene französische Nekropole „Notre-Dame de Lorette“.

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Deutscher Friedhof “Maison Blanche” St. Vaast, Suse Rabel-Harbering

Die deutschen Friedhöfe werden entsprechend des Versailler Friedensvertrages vom Volksbund  deutscher Kriegsgräber betreut. Bei der Gestaltung des Friedhofes geht es um dessen Einbindung in die Landschaft und um das Ziel, ihn als Mahnmal gegen den Krieg wahrzunehmen. Die toten werden auf dem weiten Feld begraben. Nicht die Grabstätte des Einzelnen wird hervorgehoben. Allein Kreuze oder Stelen mit dem Davidstern, beide vehen mit Namen, verweisen auf die Verstorbenen. Ohne Blumen, Hecken oder Sträucher kommt der Friedhof aus. Der alte Baumbestand ist Schmuck genug. Es ist ein melancho-lischer Ort, an dem im Lichte der späten Septembersonne die Schatten der scheinbar unendlichen Kreuze zu tanzen beginnen. Nur wenige Besucher verirren sich hier her. Und doch begegnen wir einer kleine Gruppe, die einen Kranz aus Vergissmeinnicht vor einem Kreuz niederlegt.

Oben in Notre-Dame de Lorette weht die Trikolore. Veteranen, die den Friedhof samt der Beinhäuser bewachen, geben bereitwillig, teilweise in gutem Deutsch Auskunft über die Anzahl der dort begrabenen Soldaten, die für Frankreich gestorben sind – „Mort pour la France“ steht auf jedem Kreuz und jeder Stele. Während wir durch die schnurgeraden mit Blumen geschmückten Gräberreihen spazieren, drängen die Veteranen zum Aufbruch. Es ist Feierabend.

Während die Erinnerungskultur im Sinne einer lebendigen Aneignung der Vergangenheit in Deutschland sich hauptsächlich mit dem Zweiten Weltkrieg auseinandersetzt, ist der Erste Weltkrieg nicht wirklich präsent. Dennoch bieten die Erinnerungsstätten in Frankreich samt deren Begegnungszentren, wie das „Historial de la Grande Guerre“ in Péronne, in „Thièpeval“ oder im „Musée du Chemin des Dames“ Gelegenheit zu einer kritischen Auseinandersetzung mit den jeweiligen nationalen Gedenktraditionen und ermöglichen einen differenzierten Zugang zur eigenen und auch zur fremden Geschichte.

Suse Rabel-Harbering

Auskünfte über Wege der Erinnerung in Nordfrankreich:
www.rendezvousenfrance.com
www.crt-nordpasdecalais.fr
www.aisne-tourisme.com
www.somme-tourisme.com

 

DSC 4016 JPG Skulpturen “Musée du Chemin des Dames” Werner Gladines

DSC 4020 JPG Klatschmohn, Werner Gladines

DSC 4024 JPG Kapelle im “Musée du chemin des Dames, Werner Gladines

DSC 3863 JPG “Mémorial National Australien in Villers-Bretonneux, Werner Gladines

JPG 1010865 Klatschmohn am “Mèmorial National Australien” Suse Rabel-Harering

JPG 1010829 Deutscher Friedhof “Maison Blanche”  St. Vaast, suse Rabel-Harbering

7. Le Chemin-des- Dames,_Bleuets, Christelle Clément

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