Könnte Industrie 4.0 die Piloten aus den Cockpits verdrängen?

Zukünftige Steuerung von Verkehrsflugzeugen vom Boden aus?/Foto: Psibemetix.Inc.

Mit der vierten industriellen Revolution – der Industrie 4.0 – ändert sich das Zusammenspiel von Mensch und Maschine gravierend. Mit den Konsequenzen, die sich für die Verkehrsluftfahrt ergeben, befasste sich das diesjährige Symposium des Forschungsnetzwerks für Verkehrspilotenaus- und Weiterbildung, FHP, der Technischen Universität Darmstadt. 

Kann – oder wird – die künstliche Intelligenz die Piloten aus dem Cockpit verdrängen? Wie wird sich Industrie 4.0 auf das Training der Verkehrspiloten und Fluglotsen auswirken und ihr Anforderungsprofil verändern? Wie steht es um die Sicherheitsrisiken durch die digitale Automatisierung, um Hardware – und Softwarefehler, um Fremdeinwirkungen wie Hacking und Viren, welche Automati-sierungsszenarien, welche Cockpit-Konstellationen sind zukünftig durch die Digitalisierung zu erwarten? Nachfolgend ein Bericht über die Eindrücke von einem zweieinhalbtägigen Symposium im Rheingau in dem Wissenschaftler, Piloten und Trainingsbeauftragte von Airlines und der deutschen Flugsicherung diese Fragen diskutierten.

Wissenschaftler, Piloten und Trainingsbeauftragte von Airlines sowie der deutschen Flugsicherung diskutiertrn in Rüdesheim/Foto: jwm

Künstliche versus menschliche Intelligenz

Aus dem einstigen Systembediener werde immer mehr ein Systemüberwacher, so Professor Dr. Gerhard Faber, Gründer des Forschungsnetzwerkes FHP. Die Ironie der Automatisierung bestehe darin, den fehlerbehafteten, ermüdenden, unvollkommenen Menschen aus dem Loop zu nehmen, ihn durch ein ,besseres´ Automatisationssystem zu ersetzen, um ihm dann die Aufgabe zu übertragen, das nicht störungsfreie technische System zu überwachen und mithilfe seiner Flexibilität und Kreativität funktionsfähig zu erhalten.

Piloten: Systembediener werden immer mehr zu Systemüberwachern/Foto: visionsblog.info

Was können autonome Aviatik-Systeme leisten und wo liegen ihre Schwachstellen und Grenzen? Laut Airbus-Chef Tom Enders sei autonomes Fliegen einfacher, als autonomes Fahren. Das hänge allerdings von der Definition von Autonomie ab, so Max Scheck, Lufthansa Cpt. A320, Master of Aeronautical Science und FHP-Vorstandsmitglied in seinem Vortrag über , Autonomes Fliegen´. Die Frage, ab wann ein Luftfahrzeug autonom fliegt, beschäftige seit einiger Zeit diverse Organisationen wie ICAO, EASA, FAA, NASA und andere. Alle stimmten darin überein, dass zwischen Autonomie und Automation unterschieden werden müsse. Autonomie beziehe sich auf Entscheiden, Automation auf Ausführen. Eine ICAO-Arbeitsgruppe komme zu dem Schluss, dass nur ein System, das in der Lage ist, neue Handlungs-alternativen zu entwickeln, autonom fliegen könne, alles andere sei Automation. Solange es aber keine autonomen Systeme gibt, müsse nach Ansicht der ICAO-Arbeitsgruppe immer noch der Mensch die Kommandogewalt behalten.

Airlines – Vorreiter der Digitalisierung?

Professor Dr. Christoph Brützel, Professor für Aviation Management an der Internationalen Hochschule in Bad Honnef/Foto: jwm

Keynote Speaker des Symposiums war Professor Dr. Christoph Brützel, Professor für Aviation Management an der Internationalen Hochschule in Bad Honnef. Er ist seit mehr als 30 Jahren im Luftverkehrsbereichs tägig, u.a. bei Lufthansa, LTU und A.T. Kearney. Laut Brützel dürfe sich die Airline Industrie, besser gesagt das Aviation Management, als Vorreiterin von Industrie 4.0 bezeichnen, weil Industrie 4.0 Verzahnung und Vernetzung, horizontal sowie vertikal, bedeute. Die störungsfreie Synchronisation der Lieferanten (Flughäfen, Flugsicherung, Bodenverkehrsdienste, etc) sei unverzichtbar, wenn Flüge pünktlich starten und landen sollen. Mission Management, die permanente Optimierung von Flugverläufen auf Grundlage von Echtzeit-Informationen, und System Wide Information Management (SWIM) als Schlüsselprojekt der Flugsicherungsindustrie im Rahmen des EU-Projekts ,Single European Sky´, würden dabei Chancenpotentiale auf hohem Niveau bedeuten. Durch SWIM wird auf europaweite Flugplan-, Verkehrs- und Luftlagedaten zugegriffen und dabei Sicherheit sowie Effizienz gesteigert. Vor etwa 50 Jahren sei mit der Einführung von Computerreservierungsprogrammen begonnen worden. Mit Sabre und Amadeus, lange noch vor dem Siegeszug des Internets, habe E-Commerce bereits Einzug am Airline-Markt gehalten. Mit Big Data aus eigenen Flugleistungsdaten und Meilenprogrammen, suchen Airlines dem Kunden nun noch näher zu rücken, in dem ihre Angebote noch mehr auf ihn zuschneiden.

Fliegerische Kompetenzen der Piloten nicht mehr unbedingt an ihre physische Präsenz im Cockpit gebunden?

Airline-Management, so Brützel, sei deshalb schon lange Industrie 4.0, weil im Augenblick der Produktion, sprich Flug, geliefert werde. Die wesentlichen Hebel und Konsequenzen von Industrie 4.0 im Luftverkehr lägen in der effektiven und effizienten Kompetenz- und Aufgabenverteilung bei der taktischen Steuerung und Durchführung von Flügen. Dabei gelte es die Chancen der Digitalisierung zu nutzen, die sowohl in der Aufgabenteilung zwischen Flugsicherung und Airline als auch in der zwischen Bord und Boden bei der Airline selbst.

Nutzung der Chancen der Digitalisierung für eine effektive und effiziente Kompetenz- und Aufgabenverteilung bei der Steuerung und Durchführung von Flügen? / Bild: t-systems.com

Konsequenzen von Industrie 4.0 im Luftverkehr lägen in der effektiven und effizienten Kompetenz- und Aufgabenverteilung bei der taktischen Steuerung und Durchführung von Flügen. Dabei gelte es die Chancen der Digitalisierung zu nutzen, die sowohl in der Aufgabenteilung zwischen Flugsicherung und Airline als auch in der zwischen Bord und Boden bei der Airline selbst.

Heftige Diskussion um die Verlagerung von Entscheidungskompetenzen vom Cockpit auf die Bodenstationen. /Foto: jwm

Flugplanungs- und Luftlagebilddaten (SWIM) könnten – ein zentrales europäisches Netzmanagement vorausgesetzt – zumindest im weniger komplexen Reiseflug zur Flugnavigation und Separierung mit Airborne Separation Assurance Systemen (ASAS) auch direkt an Bord verarbeitet werden. Würden die zur sicheren Flugdurchführung relevanten Entscheidungsinformationen vollständig erfasst und an den Boden übermittelt, seien die fliegerischen Kompetenzen der Piloten nicht mehr unbedingt an ihre physische Präsenz im Cockpit gebunden. Die Verlagerung eines Pilotenarbeitsplatzes vom Cockpit an den Boden biete laut Brützel auch sowohl Effektivitätspotenziale sowohl im Hinblick auf die Sicherheit und die Abstimmung des Mission Managements als auch Effizienzpotenziale – zumindest bezüglich der Einsparung von Crewreisekosten. Bei all diesen Potenzialen gehe es aber nicht um eine „entweder-oder“-Szenarien sondern zwecks Wahrung höchster Sicherheit um systematisch geplante, stufenweise Änderungen.
Heftige Diskussion gab es anschließend an den Vortrag um die Verlagerung von Entscheidungskompetenzen zugunsten der Effizienz vom Cockpit auf Bodenstationen. Sicherheitsrelevante, faktische Informationen im Cockpit könne man heute zum größten Teil digitalisieren und erfassen. Sensoren, die diese erfassen, hätten aber keine Empathie, keine soziale Kompetenz oder Fähigkeiten wie der Mensch, sie könnten nur messen. Deshalb sei im Moment der Mensch noch ein wichtiger Faktor im Cockpit. Der gleiche Schluss, zu dem auch die ICAO-Arbeitsgruppe kommt. Dem stimmte auch der Keynote Speaker zu, gab aber unverändert zu bedenken, dass die Wahrnehmung der relevanten Kompetenzen nicht zwangsläufig physische Anwesenheit im Cockpit bedinge.

Lufthansa konzipiert mit EBT das Pilotentraining neu

Einen Ansatz, sich den Herausforderungen durch Industrie 4.0 im Rahmen des Piloten-Recurrent-Trainings zu stellen, bzw. das Recurrent- Training und Checking neu zu konzipieren, gibt es bei Lufthansa für die Piloten der Airbusflotte A380.

Lufthansa Airbus A380/Foto: digitaly.pictures.de

Bezeichnet wird er als Evidence-Based Training (EBT) und wurde von Christoph Uppenkamp, Lufthansa SFO A380 und Fachgebietsleiter Training, vorgestellt. Bisherige Vorgaben für die Weiterbildung und das Check-System der Piloten basierten laut Uppenkamp auf Zwischenfällen und Unfällen aus den Anfangsjahren der Jet-Fliegerei, als Flugzeuge technisch unzuverlässiger und mögliche Fehler noch überschaubarer waren. Bestimmte Manöver wurden wieder und wieder trainiert und konnten in der zur Verfügung stehenden Trainingszeit abgedeckt werden. Die heutige Jetgeneration verfüge aber über komplexere und zugleich zuverlässigere Systeme. Eine umfangreiche Datenanalyse bezüglich Threats and Errors bestätige eine Verschiebung von technischen zu interpersonellen Ursachen und verlange andere Kompetenzen als das Trainieren von sich wiederholenden Manövern. Neun Kompetenzen bilden das neue Grundgerüst mittels dessen Threats and Errors beherrscht werden könnten. Design und Konzeption des EBT-Trainings basierten künftig auf Szenarien und Manövern, die diese neun Kompetenzen erfordern und weiter trainieren. Ziel sei eine qualitative Verbesserung und Effizienzsteigerung durch individuell angepasstes Training. Lufthansa will EBT in den Flugbetrieben der gesamten Gruppe einführen.

Neue Player werden die Luftfahrt kräftig aufmischen

Helga Kleisny, Diplom Physikerin, Pilotin und Luftfahrtjournalistin, befasste sich in ihrem Vortrag mit der Fragestellung wie Organisationen und Unternehmen der Luftfahrt auf die gravierenden Veränderungen generell vorbereitet sind. Sie präsentierte Beispiele rasanter Veränderungen in unterschiedlichen Branchen, Unternehmen und der Arbeitswelt. Aussagen wie, man könne Piloten nicht ersetzen und bewährte Strukturen seien sehr wirksam, hätten noch bei den ersten Versuchen der Industrie, Piloten durch Systeme aus den Cockpits zu verdrängen, in den 90-er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, als erfolgreich gegolten. Heute tauchten neue, ganz andere Player und Faktoren auf, die über kurz oder lang die Luftfahrt kräftig aufmischen würden.  Lesen Sie mehr dazu in Helga Kleisnys interessanten Artikel über Die Zukunft der Luftfahrt.

Johanna Wenninger-Muhr

Die vier industriellen Revolutionen

Die erste industrielle Revolution, etwa um 1800, war die Abkehr von ,Muskelantrieben´ und die Hinwendung zu Arbeitsmaschinen.
Die zweite industrielle Revolution war gekennzeichnet durch die Fließbandproduktion, dem Übergang von der Mechanisierung zur Automatisierung, den Automobilbau und die Entwicklung motorgetriebener Flugzeuge. Düsenjets mit elektronischen, aber überwiegend elektromagnetischen Komponenten wurden gebaut.
Die dritte industrielle Revolution begann in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts mit der Integration von Halbleiterelektronik, Digitaltechnik, Anfängen der IT-Technik und fortschreitender Automatisierung. Die Fly by Wire-Technik mit Assistenzsystemen wurde zum Standard in Verkehrsflugzeugen.
Die vierte industrielle Revolution beginnt mit dem dem 21. Jahrhundert. Digitalisierung, Integration elektronischer Komponenten (VLSI-, Nanotechnologie) und Vernetzung zahlreicher Flugzeug-Subsysteme kennzeichnen die Entwicklungen. Assistenz- und Governenzsysteme unterstützen die Flugführung, greifen aber auch in diese ein. Die Euphorie für Künstliche Intelligenz und einem ihrer Forschungsergebnisse, dem Roboter, führt zu vielfältigen Überlegungen des Zusammenspiels von Mensch und Maschine – und vor allem: die Innovationszyklen werden kürzer, die Innovationen verdoppeln, wenn sogar verdreifachen, sich jedes Jahrzehnt. Bleibt der Mensch weiterhin im Mittelpunkt des Mensch-Maschine-Systems oder wird er zum 5. Rad am Wagen? Kann er die bei Störungen stark wachsende Fülle von Informationen noch verarbeiten?
Quelle: Prof. Gerd Faber, FHP

3 Gedanken zu „Könnte Industrie 4.0 die Piloten aus den Cockpits verdrängen?“

  1. Eine gute Zusammenfassung des diesjährigen Symposions. Es wird nur möglich sein, über die unabwägbaren finanziellen und psychologischen Risiken
    Einfluss zu nehmen auf eine die Sicherheit gefährdende Entwicklung. Die „Eigensinnigkeit der Technik“ (Weyer) wird erst gebremst durch Katastrophen. Dann ist es zu spät und das viele Geld auch weg!
    Gruss
    HJL

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