Nachlassender Bestellboom für Flugzeuge

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Erstmals weniger Aufträge für Flugzeughersteller seit der Wirtschaftskrise 2009/Foto: Farnborough Airshow

Die ,Farnborough Air Show´ löst sich im Zwei-Jahres-Turnus mit dem Pariser Aero-Salon als jeweils größte europäische Luftfahrtmesse ab. Am ersten Tag im englischen Farnborough wurden von Airbus und Boeing zusammen 83 Festaufträge oder Zusagen für neue Flugzeuge verkündet. Im vergangenen Jahr war es zum Start der Luftfahrtmesse in Le Bourget fast das Dreifache. Sind das erste Anzeichen eines nachlassenden Bestellbooms?

Noch nie seit der Wirtschaftskrise im Jahr 2009 hätte es bei einer Flugzeugmesse einen schwächeren Start gegeben, ermittelten die Analysten der Schweizer Groß- bank UBS. Airbus-Verkaufschef John Leahy, sonst ein unerschütterlicher Berufsop-timist, hätte zwar gebetsmühlenartig den Langfrist-Aufwärtstrend der Branche erwähnt, weil die wachsende Bevölkerung immer mehr fliegen, die  Mittelschicht in Wachstumsmärkten weiter ansteigen werde und sich der Flugverkehr deshalb 15 Jahre verdoppele. Leahy hätte aber erstmals zugegeben, dass es für Airbus schwie- rig werden könnte, das am Jahresbeginn verkündete Ziel einer „Book-to-bill-Rate“ von eins zu erreichen. Will heißen, dass Airbus große Mühe haben könnte, 2016 mindestens so viele Neuaufträge zu bekommen, wie Flugzeuge produziert werden. 2015 gab es 635 Auslieferungen und 1080 Neubestellungen. Für dieses Jahr peilt der Airbus-Vorstand 650 Ablieferungen an – und bisher sollen mindestens ebenso viele Neuaufträge hereinkommen. Es gebe einen Zyklus in dieser Industrie und Jahre wie dieses, in denen man nicht so viele Aufträge habe. Doch entscheidend seien die Ablieferungen. „Wir haben kapiert, wie wir den Orderzyklus von den Auslieferungen abkuppeln können“, so der Manager. Die Flugzeugübergaben könnten vielleicht während Krisen abflachen, meinte Leahy, aber nicht einbrechen.

Das Auftrag-Auslieferungsverhältnis könnte erstmals kippen

Ähnlich äußerte sich Warren East, der Chef des Triebwerkherstellers Rolls-Royce. „Wenn man sich die Aufträge der vergangenen Jahre anguckt, gab es sicher eine Spitze an Bestellungen“, sagte East in Farnborough. „Jetzt müssen wir uns in die Auslieferungsphase bewegen“, sagte er. Das sei ein längerfristiger Trend. Die Nachfrage sei jedoch mittelfristig noch immer da. Wenn es auf der Luftfahrtmesse von Farnborough in der Summe keine großen Neuaufträge gebe, könnte das Auftrags-Auslieferungsverhältnis der Branche erstmals seit 2009 umkippen, meint auch Luftfahrtexperte Richard Aboula-fia von der Teal Group.

Weil seit 2009 bei den beiden großen Flugzeugherstellern mehr Aufträge herein-kamen, als Flugzeuge produziert wurden, hat sich ein gewaltiger Auftragsbestand angehäuft. Bei Airbus waren in diesem Jahr Ende des ersten Quartals 6700 Flugzeuge bestellt, die erst noch produziert werden müssen. Rein rechnerisch bedeutet das bei derzeitiger Kapazität eine Auslastung für rund zehn Jahre. Bei Boeing lag der Auftragsbestand bei mehr als 5700 Flugzeugen.

Keine Fluggesellschaft bezahlt den Katalogpreis

Der europäische Flugzeugbauer bezifferte den Auftragsbestand auf 905 Milliarden Euro, Boeing auf 424 Milliarden Dollar (384 Milliarden Euro). In diese Aufträge gehen aber auch die Listenpreise mit ein. Tatsächlich bezahlt aber keine Fluggesell-schaft den Katalogpreis. Abschläge bis zu 50 Prozent sind keine Seltenheit. Um den Auftragsberg abzuarbeiten, liefern sich Airbus und Boeing inzwischen einen Wett- bewerb, wer wie schnell seine Kapazitäten ausbaut. Ziel sind bei Airbus beispiels- weise 60 kleine Modelle der A320-Famtlie pro Monat. Das sind rund zwei neue Flugzeuge an jedem Tag. Boeing hat seit 2010 bereits 15 Mal seine Produktion erhöht undstrebt eine Rate von 57 Flugzeugen des 737-Modells monatlich an.

Dass die Nerven der Beteiligten über die weitere Entwicklung angespannt sind, sei an einer Attacke des Boeing-Verkaufschefs John Woijick deutlich geworden. Gleich am ersten Tag der Messse in Farnborough wurde er gefragt, warum der Rivale Airbus deutlich mehr Neubestellungen für sein Sparmodell A32oNeo habe als der US-Konkurrent für sein Gegenstück 7i7Max. Als Antwort hinterfragte der US-Mana- ger offen die Solidität der vielen Airbus-Aufträge. So hätten allein die Airbus-Groß- kunden und Billigairlines Indigo aus Indien und AirAsia aus Malaysia mehr als 730 neue Flugzeuge bestellt – obwohl sie zusammen erst eine Flotte von 250 Flugzeu- gen betreiben. Womöglich sei das eine Auftragsblase, lautete die versteckte Botschaft des Boeing-Managers.

Starke Regenfälle und Stromausfall

Europas größte Luftfahrtmesse musste am 11. Juli am Nachmittag evakuiert wer- den, weil starke Regenfälle zu massiven Wassereinbrüchen in den Messehallen geführt hatten und  Stromausfälle auf dem gesamten Ausstellungsgelände verur-sachten. Zahlreiche Betroffene äußerten ihr Unverständnis darüber, dass der Regen ausreichte, um die Messe zusammenbrechenzulassen. Vor dem Regen hatten Airbus, Boeing und Embraer Aufträge und Kaufabsichtserklärungen im Listenpreis-Gesamtvolumen von rund 14 Milliarden Dollar bekannt gegeben. Die beiden Marktführer gaben auch ihre neuen Bedarfsschätzungen an Verkehrsflug-zeugen mit mehr als 100 Sitzen für die kommenden zwei Jahrzehnte bekannt. Während Airbus eine Nachfrage für rund 33 000 Flugzeuge im Gesamtwert von rund 5,2 Milliarden en Dollar sieht, geht Konkurrent Boeing von knapp 40 000 Jets für 5,9 Milliarden n Dollar aus.

Milliardenschwere Aufträge für Chinas Passagierjet

Der staatliche chinesische Flugzeugbauer Commercial Aircraft of China (Comac) hat in Farnborough einen Erfolg bei Aufträgen für den kürzlich in den kommerziellen Betrieb genommenen Passagierjet des Typs ARJ-21 zu vermelden. Wie am 12. Juli bekannt wurde, wird die Flugzeugleasinggesellschaft China Aircraft Leasing Group (CALC) 30 Maschinen des vor allem für regionale Flugverbindungen vorgesehenen Comac ARJ-21 ordern. Gleichzeitig hat CALC eine Optionsvereinbarung für 30 weitere Maschinen desselben Typs unterzeichnet. Insgesamt könnte sich der Deal damit auf einen Auftragswert von 2,3 Mrd. Dollar belaufen, heißt es in der Mitteilung. Wie Comac betonte, hat auch die heimische Avic Leasing 30 ARJ-21-Maschinen geordert, hier wurde allerdings der Auftragswert nicht beziffert. Die neuen Aufträge dürften dem chinesischen Flugzeugbauer etwas Rückenwind geben, nachdem das Projekt ARJ-21 als erster von China heimisch entwickelter Passagierjet nach internationalem Standard rund zehn Jahre Verzögerung aufwies.

Kürzlich erst kam es erstmals zu einem regulären Einsatz einer ARJ-21 -Maschine auf einem Flug von Chengdu nach Schanghai durch den chinesischen Regional-carrier Chengdu Airways. Bei Comac hofft man nun, dass mit der Aufnahme eines regulären Flugbetriebs rasch weitere Orders einfließen, wobei vor allem auch Leasinggesellschaften eine Rolle spielen dürften. Die CALC will die neuen Maschinen für eine nicht genannte indonesische Fluggesellschaft einsetzen, bei der sich auch die Mutter der CALC, die in Hongkong ansässige Beteiligungsgesellschaft Friedmann Pacific Asset Management, zu engagieren gedenkt. Die CALC hat bislang 70 Maschinen der führenden Hersteller Airbus und Boeing in ihrer Flotte und will diese um weitere 100 Airbus aufstocken.

Konkurrenz für Embraer und Bombardier

Die neue Comac-Maschine gilt nicht als direkter Konkurrent für Airbus und Boeing, steht aber im Wettbewerb mit kleineren Passagierjets, wie sie von der brasiliani- schen Embraer und der kanadischen Bombardier gebaut werden. Comac entwickelt allerdings derzeit einen größeren Passagierjet unter der Typenbezeichnung C 919, der es künftig auch mit den von chinesischen Fluggesellschaften rege verwendeten Passagierjets für Mittelstreckenverbindungen Airbus A320 und Boeing 737 aufnehmen kann. Die C919 ist zwar bereits im vergangenen Jahr erstmals vom Band gelaufen und der Öffentlichkeit präsentiert worden, dürfte aber erst im kommenden Jahr die ersten Flugtests unternehmen und dann frühestens im Jahr 2019 an Fluggesellschaften ausgeliefert werden.

Quellen: Börsenzeitung, Tagesspiegel, Die Welt

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