Laut Schweizer Wirtschaftsmagazin ,Bilanz´, heben die Manager der Lufthansa Group derzeit häufiger ab als früher. Vor allem zwischen den Lufthansa-Außenstellen Zürich und Wien, der Heimat von Swiss und Austrian Airlines, und der Frankfurter Konzernzentrale habe sich eine regelrechte Pendeldiplomatie entwickelt.
Auslöser sei die neue Konzernorganisation der Lufthansa, eine von der Beratungsfirma McKinsey erdachte Matrix. Kommerzchef Markus Binkert, dessen erste Aufgabe es ist, die Flieger der Swiss mit den richtigen Preisen einträglich zu füllen, berichte dank Matrix nicht
nur an Swiss-Chef Thomas Klühr, sondern auch an Harry Hohmeister – Binkert habe zugleich übergreifende Aufgaben: Den Bereich ,Revenue Management` verantworte er auch für Austrian und Lufthansa Classic. Die Kommerzchefs der Standorte München, Frankfurt und Wien leiten neben ihrer heimatlichen Arbeit ebenfalls konzernweite Bereiche für die drei Premium-Fluglinien. Hier zeigten sich Grenzen des neuen Modells: Austrian-Kommerzchef Andreas Otto, sei für die Produktwelt verantwortlich, für das Innenleben von Lufthansa-Fliegern wie den Airbussen A350 oder A380, von denen Austrian aber keine in der Flotte habe. Wolle sich Otto einen Eindruck von deren Sitzen oder Küchen verschaffen, muss er verreisen. „Auf dem Papier ist es einfacher, und in Bezug auf Verantwortlichkeiten sind die Spielregeln heute klarer als zuvor“, so Hohmeister zu ,Bilanz´. Doch es sei eine der grössten Umstrukturierungen der Konzerngeschichte, „so etwas braucht seine Zeit“. Aus Zürich hätte Swiss-Chef Klühr beigeplichtet: „Matrix braucht Übung.“
In aller Stille scharfgeschaltet
In aller Stille habe Lufthansa zum l. Juli 2016 ihre neue Organisation scharf geschaltet. Erstmals hätten Hohmeister und Klühr über ihre Erfahrungen und über die Gretchenfrage gesprochen: Was heisst das alles für die Swiss? Zunächst: Inhaltlich seien die Entscheidungen besser geworden, da sind sich die beiden Bosse einig. Für den Prozess bis zum Beschluss habe Hohmeister den Begriff „Gegenstromverfahren“ geprägt. Wünsche von unten, den Standorten, begegneten Zielsetzungen der Zentrale: auf dem Papierweg, in Sitzungen oder informellen Gesprächen. Das zwingt vor allem die Arbeitsebene zur Zusammenarbeit. „Alle schauen auf transparente, zahlenbasierte Entscheidungsvorlagen und suchen nach der richtigen Entscheidung für den Gesamtkonzern“, sagt Hohmeister.
Motivation des Ganzen sei mehr Koordination, auch mittels einer strafferen Führung aus der Zentrale, gewesen. Indiz dafür sei, dass die Netzplanung der Airline-Töchter nun zentral gesteuert werde: durch Max Kownatzki, der von Eurowings kam. Netzplanung ist das Herzstück einer Fluglinie; hier wird festgelegt, wer wann wohin wie oft womit fliegt. Auch Hohmeister führte vor mehr als 20 Jahren diesen Bereich.
Entschieden wird beim „Process Owner„
Die Planung der Kurzstrecken sei an die Drehkreuze, mandatiert. Diese sollen laut Kownatzki ihre Verkehrsströme jederzeit optimieren können. Für die Langstrecken liefen die Fäden bei Kownatzkis Mitarbeiter Helmut Woelfel zusammen, der einen Input einspeisen könne, aber auch Wünsche oder Vorschläge der Hubs entgegennehme. Dann folge der Gegenstromprozess. Vor allem bei Langstrecken gelte: Entschieden wird beim „Process Owner“, einem neuen Titel im Lufthansa-Organigramm. Für die Netze ist das Max Kownatzki, der in Frankfurt sitzt und an Hohmeister berichtet.
Im Detail verstecke sich jede Menge Arbeitsaufwand. Zwar fange der aufwendige Prozess viele Konflikte ab, „weil man ständig im Austausch mit den Beteiligten steht“, sagt Kownatzki. Und die klare Definition der Vorgehensweisen helfe, es gebe „sehr detaillierte Prozesslandkarten“.
Einige Konzernmanager stöhnen
Unter der Hand aber würden laut ,Bilanz´ einige Konzernmanager stöhnen. Man müsse oft „im Vorfeld studieren“: Was darf man als Österreicher oder Schweizer im Heimatland verhandeln, was muss in Frankfurt unterzeichnet werden? Beschlussvorlagen, die das Okay mehrerer Hubs brauchen, verfasse man heute so, dass „wir nur die Deckblätter tauschen müssen“. Manchmal sei man Kollege, manchmal in der Chefrolle. Gerald Wissel, Chef der Beratungsfirma Airborne Consulting, sagt: „Nach meiner Einschätzung hat die Matrixorganisation von McKinsey vieles verlangsamt oder komplexer gemacht, obwohl eigentlich das Gegenteil erreicht werden sollte.“
Die Bosse würden nicht abstreiten, dass die Umsetzung schleppend läuft. Dass nun „Process Owner“ am Drücker sind, werde noch „nicht ganz so gelebt, wie es gelebt werden soll“, sagt Hohmeister. Klühr konstatiere Mängel bei Tempo und Effizienz.
Abschied vom Mayerhuber Modell des ,Nebeneinander´
Die neue Organisation markiere den Abschied vom Mayrhuber-Modell. Wolfgang Mayrhuber, der als Lufthansa-CEO die Expansion des Kranichs Richtung Schweiz und Österreich trieb, hätte auf ein Nebeneinander der Konzernfluglinien gesetzt. Zwar hätte keine grenzenlose Freiheit existiert, aber jeder konnte sich seine Märkte suchen, und was untereinander abgestimmt wurde oder nicht, blieb den dezentral Verantwortlichen überlassen. Doch die Zeiten hätten sich geändert: Die Golf-Fluggesellschaften Emirates, Qatar und Etihad sowie Turkish Airlines haben monströse Grossraumflotten zusammengekauft. Neue Billigflieger wie Norwegian oder Wow Air sowie die gesundgeschrumpften US-Fluglinien drücken über dem Atlantik die Preise. Weil in Europa Fusionen politisch schwieriger sind als in den USA und ein Chapter-11-Verfahren fehle, flögen Polens LOT, Adria Airways, Alitalia oder Air Berlin munter weiter.
Und im Kontinentalverkehr seien Ryanair und Easyjet so stark geworden, dass sich die großen Netzwerkfluglinien eigene Billigableger zulegten, „in erster Linie als unabhängige Wachstumsplattformen“, sagt Björn Maul, Luftfahrtexperte der Beratungsfirma Oliver Wyman. IAG, die Mutter von British Airways, gewähre ihrer Tochter Vueling wohl „das reinste Lowcost-Modell“, so Maul. Air France / KLM betreibt die eher schwache Transavia, Lufthansa bastele an ihrer Eurowings.
Nur Swiss stattet alle Langstreckenflieger mit First Class aus
Hat der Swiss-Chef nun Freiheiten eingebüsst? fragt Bilanz. „Ja und nein“, antwortet Klühr. Dass die Swiss, als einzige Airline der Lufthansa Gruppe, weiterhin alle Langstreckenflieger mit einer First Class ausstattet, musste Klühr in Frankfurt erst durchsetzen. CEO Spohr solle sich auf seine Seite geschlagen haben: Wenn dies der Swiss-Chef in einer so kritischen Frage in seinem Markt für das Richtige halte, werde es gemacht. Nach Frankfurt trug Klühr auch sein Anliegen, sämtliche vierstrahligen A340-Airbusse durch Boeing 777 zu ersetzen – 15 neue Boeings hätte das bedeutet, nur zehn wurden der Swiss genehmigt. Die Anschaffungskosten hätten das Investitionslimit des Konzerns überzogen. Die zusätzlichen Sitzplätze der Riesenvögel wären schwer zu füllen gewesen, weiss auch Klühr, anderseits lockte die Aussicht auf Kostensenkungen durch eine homogene Flotte. Die verbleibenden fünf A340, die noch nicht abgeschrieben sind, werden nun neu eingerichtet. Hohmeister sagt, mit zehn „Triple Seven“ betreibe die Swiss schon jetzt wesentlich mehr Kapazität, „als die Swissair jemals in der Luft hatte“. Und bei den über 20 Jahre alten Boeing 767 der Austrian sehe er „ehrlich gesagt größeren Handlungsbedarf“.
Immer wieder hat Hohmeister darauf hingewiesen, dass die Swiss seit und dank der Lufthansa-Übernahme jährlich Hunderte Millionen Franken an Synergien einspare. . Sein Fazit: „Was gut ist für den Konzern, ist letztlich auch gut für die Swiss.“ Klar sei dennoch: Die Swiss ist heute eine Abteilung unter mehreren im Konzern Lufthansa.
Thorsten Dirks werde das Luftfahrtgeschäft erst lernen müssen
Hohmeister, der schon seit 2013 im Vorstand sitzt, müsse nun die Matrix zum Funktionieren bringen. Vorerst heiße es aber den neuen Konzernvorstands-Kollegen Thorsten Dirks zu unterstützen. Dirks, der den deutschen Mobilfunkanbieter E-Plus führte, soll ab Mai die Eurowings pilotieren. Dann dürften andere Zeiten beginnen – nicht nur für Hohmeister, der vom künftigen Kollegen „wieder einige neue Dinge lernen kann“ und sich wird umstellen müssen: Karl Garnadt, Noch-Chef von Eurowings, ist wie Hohmeister ein Lufthansa-Urgestein. Man spreche dieselbe Sprache. Dirks werde das Luftfahrtgeschäft erst lernen müssen. Von seiner Lernkurve hänge auch für Spohr einiges ab, der dem Vernehmen nach Dirks nicht als erste Wahl für den Eurowings-Job sah. Dass der Aufsichtsrat Dirks dennoch berufen habe, werten Insider als Hinweis, dass Spohr, so das Wirtschaftsmagazin ,Bilanz´ unter Beobachtung stehe. Als gesichert gelte, dass Hohmeister sich durchaus mehr zutraue als seinen aktuellen Job.
Viele Fragen offen bei Eurowings
Dennoch ziehe er loyal mit Spohr an einem Strang: Dessen Sparziel der Neuorganisation von 500 Millionen Euro pro Jahr ab 2019 „werden wir erreichen und auch übertreffen“, sagt Hohmeister. Bis dahin bleibe einiges zu tun. Eurowings müsse ihre Einzelteile, wie die „alte“ Germanwings oder die neu von Air Berlin geleasten Flieger, zu einer Einheit zusammenfügen und ihre Geschäftsmodelle sortieren: Will sie als Zubringer für Langstreckenflüge von Swiss oder Lufthansa dienen? Oder nur klassische Punkt-zu-Punkt-Verbindungen fliegen, ähnlich wie Ryanair oder Easyjet? Und wenn ja, schüttet Eurowings dann noch Bonusmeilen aus, bietet sie Lounge-Zugang an? Und was ist mit den touristischen Langstreckenflügen, die Eurowings etwa nach Jamaika, Namibia oder in die USA anbietet? Soll daraus ein eigener Langstrecken-Lowcoster entstehen, wie ihn IAG-Chef Willie Walsh gerade für seine Gruppe angekündigt hat? Der freie Luftfahrtberater Jürgen Ringbeck hält das für möglich – abhängig davon, ob Swiss oder Lufthansa „durch weitere Kostenoptimierung im attraktiven Langstreckengeschäft weiter erfolgreich wachsen können“ – oder eben nicht. Intern habe Spohr angeblich das Ziel ausgegeben, die Kosten von Eurowings auf das Niveau von Easyjet zu senken. Ringbecks lakonischer Kommentar: „Ein sinnvolles, aber anspruchsvolles Ziel.“
Eine Baustelle bleibe das Vordringen der Billigflieger in die Drehkreuze. Im Lufthansa-Konzern schrillten die Alarmglocken, als der Lufthansa-Heimatflughafen Frankfurt mit günstigen Tarifen Ryanair anlockte. Dabei gilt für Full-Service-Carrier wie Lufthansa oder Swiss der Schulterschluss zwischen Airline und Airport als Existenzgrundlage. Leider bestehe diese enge Einheit in Frankfurt nicht, in München funktioniere das am besten, so Klühr. Hier hatbe Lufthansa-Tochter Eurowings gerade ihr Flugprogramm massiv aufgestockt und Transavia verschreckt, die für München eine Basis angekündigt hatte – und nun die Pläne schon wieder kassierte.
Klühr könne Klartext genauso gut wie Hohmeister. Der Norddeutsche sei bekannt dafür, dass er ab und zu gern „einen rausgehauen“ hat. Lieblingsadressaten seien die Golf-Airlines („kaufen sich mit staatlicher Hilfe Einfluss in Europa“), die Schweizer Luftfahrtpolitik („Bern hat Angst davor, Zürich zu sagen, wo es langgeht“) und der überfüllte Flughafen („Kapazitätsblockade“), gewesen, wo die sich kreuzenden Pisten immer wieder zu Störungen im Betrieb führen. Einen rauszuhauen Richtung Flughafen Zürich – das habe Hohmeister in Frankfurt nicht verlernt: „Das System wird platzen, wenn nichts passiert.“
Quelle: Bilanz, Schweizer Wirtschaftsmagazin