US-Fluggesellschaften, etwa Delta oder American Airlines, konnten in den vergangenen Jahren Renditen mit operativen Margen von 19 und 15 Prozent erreichen. Das sind Werte, von denen können europäische Konkurrenten nur träumen. Doch sie geraten immer mehr unter Druck. Die Renditenjagd rächt sich und die Piloten sind gereizt.
Anfang der Woche streikte das IT-System bei Delta. Tausende Passagiere saßen am 8. August und teilweise noch am Tag danach fest. Auch die Mitarbeiter, allen voran die Piloten, protestieren. Sie hatten in der Insolvenz Einbußen hinnehmen müssen – und wollen nun einen Teil des Geldes zurück. Die Delta-Piloten fordern bis zu 40 Prozent mehr Lohn, bei Southwest wollen die Mitarbeiter gar ihren Chef rausdrängen.
Europäische Airline-Manager schauen dabei mit gemischten Gefühlen zu. Sie beklagen seit langem die Wettbewerbsverzerrungen durch Chapter 11. Doch sie brauchen auch starke Partner im wichtigen US-Markt.
Aber die Bilanzen sehen nicht gut aus. Tausend Flüge musste Delta Airlines Anfang der Woche absagen. Am Tag danach wurden erneut 250 Verbindungen gestrichen. Der CEO , Ed Bastian, entschuldigte sich persönlich auf der Webseite des Unternehmens für die „Herausforderungen“, die das Problem Tausenden von Fluggästen bereitet hätte.
Die Jagd nach Rendite rächt sich
Das Computersystem der Airline hatte nach einem Stromausfall über Stunden Aussetzer. Der Vorfall ist nicht nur eine peinliche Panne, sondern eine Entwicklung, die für die gesamte US-Luftfahrtbranche zunehmend zu einer ernsten Gefahr wird: Auf ihrer Jagd nach Rendite haben die US-Airline-Manager ihre Investitionen radikal zusammengestrichen – und das rächt sich nun. Immer häufiger stranden Fluggäste in den Vereinigten Staaten. Ende Juli musste Southwest Airlines 2 300 Flüge absagen, ebenfalls wegen eines IT-Problems. Die Flotte von Delta ist mittlerweile über 17 Jahre alt. „Die amerikanischen Fluggesellschaften haben in den letzten Jahren kaum investiert, nicht in das Produkt, nicht in die IT und auch nicht in die Belegschaft“, sagt Luftfahrtexperte Gerald Wissel von Airborne Consulting.
Piloten sind gereizt
Entsprechend gereizt reagieren die Piloten. Im Zuge der Finanzkrise – 2011 etwa meldete American Airlines nach hohen Verlusten Insolvenz an – verloren sie Gehalt und Vergünstigungen. Viele US-Airlines dagegen konnten während des sogenann- ten Chapter-11-Verfahrens „Ballast“ abwerfen, so etwa hohe Pensionsansprüche oder Löhne. Da sie inzwischen wieder gut verdienen, wollen sich die Flugzeugführer nun einen Teil zurückholen. Bei Delta zum Beispiel fordern sie eine Gehaltserhö- hung bis 2019 um 40 Prozent. Die Piloten bei United Airlines holten zu Jahresbeginn 25 Prozent mehr heraus. Besonders erbittert tobt der Kampf bei Southwest. Die Piloten und ihre Gewerkschaft „Southwest Airlines Pilots‘ Association“ (Swapa) wollen nicht nur mehr Geld, sie wollen Vorstandschef Gary Kelly und seine rechte Hand Mike Van de Ven sogar feuern. „Nach jahrelangem operativen Versagen und Kulturzerfall“, sagt Pilot und Swapa-Chef Jon Weaks, müsse die Gewerkschaft aufbegehren. Das Management investiere lieber in Aktenrückkäufe anstatt in das Unternehmen und deren Mitarbeiter, so die Pilotenvereinigung. 3,1 Milliarden Dollar hat Southwest seit 2011 für den Rückkauf eigener Aktien ausgegeben. CEO Kelley konterte in einer hausinternen Videobotschaft. Die Anschuldigungen seien falsch, Gehaltsverhandlungen wären keine Lizenz zu schlechtem Verhalten.
„Markus Wahl, Lufthansa-Pilot und Sprecher der Gewerkschaft Vereinigung Cockpit (VC)“, so schreibt das Handelsblatt, „kann den Frust seiner US-Kollegen gut nachvollziehen.“ Wenn es einer Fluggesellschaft nach einer Krise wieder besser gehe, sei es wichtig, dass auch alle daran teilhaben: der Aktionär über den Kurs und eine vernünf- tige Dividende, der Kunde durch Investitionen in das Produkt und der Mitarbeiter durch bessere Arbeitsbedingungen und mehr Geld. „Was auf Dauer niemals funktionieren wird, ist, wenn in diesem Dreieck nur eine oder zwei Ecken vom Erfolg profitieren“, warnt Wahl.
Die US-Airlines sind wichtige Partner
Viele Airline-Manager in Europa blicken gespannt über den Atlantik. Schließlich sind die US-Gesellschaften wichtige Partner. Doch hinter vorgehaltener Hand wird schon seit Jahren darüber geklagt, wie Chapter 11 den Wettbewerb in den USA mindert. „Solche Möglichkeiten gibt es in Europa nicht, weshalb wir immer noch eine enorme Wettbewerbsvielfalt haben“, sagt die Führungskraft einer europäischen Fluggesell-schaft. Andererseits ist der US-Markt wichtig, gerade für europäische Fluggesell-schaften. Vor allem Passagiere, die von dort nach Asien wollen, reisen über Europa. Lufthansa etwa hat deshalb eine sehr enge Partnerschaft mit United und Air Canada geschlossen, genannt Atlantic plus-plus. „Lufthansa profitiert unter anderem von den niedrigen Kosten bei United, nachdem die Chapter 11 durchlaufen haben“, sagt Luftfahrtexperte Gerarld Wissel. Die europäischen Fluggesellschaften bräuchten den großen amerikanischen Markt und entsprechende Kooperationen. „Gerade jetzt, wo sich abzeichnet, dass die US-Airlines unter Druck geraten, ist es mehr denn je wichtig, den richtigen Partner zu haben.“
Flugpläne zu engmaschig – zu wenig Zeit für das Parken der Maschinen
Doch die richtige Entscheidung zu treffen, das fällt schwer, denn bei den US-Airlines brodelt es überall. Bei Southwest verhandeln die Piloten seit Monaten mit dem Vorstand, bislang ohne Erfolg. Andere wichtige Gewerkschaften schlossen sich den Piloten an: 36.000 der insgesamt 52.000 Angestellten fordern jetzt den Rücktritt der beiden Top-Vorstände. Bei American Airlines beschwert sich Gewerkschaftschef Dan Carey über „Piloten Drängelei“. Die weltgrößte Airline gestalte Flugpläne „auf alarmierende Weise“ zu engmaschig, es bleibe zu wenig Zeit für das Parken und Fliegen der Maschinen. Die Initiative gefährde die Sicherheit der Passagiere und der Belegschaft. Und bei Delta könnte es sogar zu einem Streik kommen. Die Piloten wollen deutlich mehr Geld, die Fluggesellschaft bot laut Gewerkschaftschef John Malone jedoch nur „eine überwältigend enttäuschende Summe“ an. Um Druck auszuüben, richtete Malone in Atlanta – dem Konzernsitz von Delta – ein Streikzentrum ein und überwies fünf Millionen Dollar in einen Streikfonds. Die Verhandlungen mit den Piloten würden „gute Fortschritte“ erzielen, schrieb er in einem Brief an seine Mitglieder – allerdings schon vor Wochen.
Auch bei United ist keine Ruhe
Selbst bei Lufthansa-Partner United herrscht keine Ruhe. Zwar einigten sich die Piloten mit dem Vorstand. Aber im Frühjahr protestierten sie vor den Büros der Hedgefonds PAR Capital Management und Altimeter Capital in Boston gegen deren Bestreben, einen Sitz im Verwaltungsrat zu bekommen. Die Piloten fürchten, dass dadurch die finanziellen Ziele noch stärker in den Vordergrund rücken. Ihr Protest war vergebens – die Hedgefonds erhielten zwei Sitze.
Dan Reed, Luftfahrtberater und Autor, fürchtet, dass die US-Airlines in eine neue Kostenspirale laufen. Würden die hohen Lohnforderungen durchgesetzt, gerieten die Airlines wieder ins Straucheln, warnt der Experte.nGleichzeitig ist der öffentliche Druck auf die US-Airlines hoch, ihre Preise weiter zu senken. Durch die in der Finanzkrise eingeführten Sondergebühren wie für Gepäck auf Inlandsflügen, die bis heute nicht abgeschafft wurden, hätten die US-Airlines alleine im vergangenen Jahr 3,8 Milliarden Dollar eingesammelt, rechnete das US-Transportministerium jüngst vor.
De facto kehre Amerika in die siebziger Jahre zurück, in Zeiten vor dem „Airline Deregulation Act“, der die Branche revolutionierte. Mit der Abschaffung von Vorschriften für Ticketpreise oder Flugrouten brach damals ein für den Kunden vorteilhafter Wettbewerb los. Jetzt drehe sich das Blatt.
US-Airlines unter Druck ( 10.08.2016 | Handelsblatt )