„Die fetteste Beute“

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Jürgen Pieper im Gespräch. Foto: Gregor Schläger

 

 

 

 

Jürgen Pieper, seit 2003 Chef-Analyst des Bereichs ,Equities Research‘ des Bankhauses Metzler und seit Oktober 2014 Chef aller Research-Aktivitäten der Metzler Bank, über die Bedeutung des gesunkenen Ölpreises für die Weltwirtschaft, die Finanzwelt und die Luftfahrtindustrie, vor allem für die europäische.

Herr Pieper,  was bedeutet  der gesunkene Ölpreis für die Weltwirtschaft und die Finanzwelt? Die Weltwirtschaft wird erstmal davon profitieren. Das Wachs- tum wird weltweit um ein paar Zehntelprozentpunkte zunehmen. Wenn die Ölpreise dieses Jahr um 40 bis 50 Prozent unter dem Niveau des letzten Jahres bleiben, werden erstmal fast alle davon profitieren. Nicht so gut wäre es, wenn es sich über Jahre so fortsetzte, wenn der Ölpreis weiter deutlich unter vierzig, dreißig Dollar fallen würde. Dann könnte vieles ins Wanken geraten, weil es zu viele Staaten gäbe, die davon negativ betroffen wären. Das würde dann die gesamte Weltwirtschaft ungünstig beein-flussen. Ich glaube aber, ein Rückgang des Rohölpreises für ein oder zwei Jahre im der- zeitigen Ausmaß ist eher vorteilhaft. Die Finanzwelt ist nicht wirklich stark davon betroffen, außer in den Ölförderländern. Dort könnten Finanzinstitutionen in den negativen Sog der Heimatwirtschaft geraten.

Was bedeutet das alles für die Luftfahrtindustrie, vor allem für die europäische? Für die Airlines ist das eindeutig positiv. Sie bekommen eine starke Kostenentlastung in einer Zeit, in der in Europa die Konjunktur nicht gut läuft, in der die Airlines immer noch unter Druck sind und die meisten mit niedrigen Gewinnen oder gar keinen Gewinnen kämpfen.

Bedeutet das aber nicht doch Druck auf die Wettbewerbssituation für die europäischen Netzwerk-Carrier, die zum Beispiel Ölpreis-Hedging betreiben? Die Hedging-Politik der einzelnen Carrier ist sehr unterschiedlich und auch ihre Ertrags-situation. Es profitieren  besonders jene, die eine risikoreiche Strategie fahren. Das sind häufig jene, die entweder mit dem Rücken zur Wand stehen oder die grundsätzlich auf die Kostenbremse drücken, indem sie kein Hedging betreiben. Tendenziell sind das eher Airlines wie Ryanair oder Air Berlin als Lufthansa. Die Konservativen sind in so einer Phase nicht so sehr die Profiteure. Doch letztendlich profitieren alle so stark von den fallenden Ölpreisen, dass man den Unterschied an der Stelle nicht machen sollte.

Wie schätzen Sie generell die Wettbewerbssituation  ein? Für Lufthansa ist derzeit der Ticketpreisverfall das Problematischste. Er belastet die Ertragsrechnung jedes Jahr um mehrere hundert Millionen. Schmerzlich sind auch die Marktanteilsverluste im Asien-verkehr, denn das Asien-Geschäft war lange Zeit das lukrativste. In Europa ist es nach wie vor der scharfe Wettbewerb durch die Billigairlines, der zu schaffen macht. Das ist aller- dings kein neues Phänomen. Darauf hat man sich im Prinzip in den letzten fünf Jahren eingestellt. Gleich danach kommen aber die deutschen Infrastrukturprobleme: Flughäfen, die nicht ausgebaut werden, in Berlin die Misere mit dem nicht zustande kommenden Airport, Restriktionen wie das Nachtflugverbot in Frankfurt oder auch die Luftverkehrs-steuer.

Billigflieger wie Ryanair wollen ihre Tickets nun auch über Reisebüros und das Reisebürosystem Amadeus verkaufen. Ryanair-Marketingchef Kenny Jacobs sagte dazu: „Wir werden zu Europas wichtigster Fluglinie für Manager.“ Wie gefährlich ist das zum Beispiel für Lufthansa? Ryanair greift Dinge an, die für sie lohnenswert erscheinen, etwa der deutsche Markt und das Lufthansa-Geschäft. Das Geschäftsreise-segment ist sicherlich immer noch sehr lukrativ. In Deutschland, einer starken Export-nation, gibt es Millionen potenzielle Geschäftsreisende. Das heißt, hier ist die fetteste Beute zu holen. Die Aussagen, die seitens Ryanair gemacht wurden, sind aber extrem überzogen, denn ich glaube, so schnell wird man auch in Amadeus eine Lufthansa nicht verdrängen können. Was am wenigsten passieren wird ist, dass man massiv den Ge- schäftsreiseverkehr von Frankfurt und München angreift. Dort bietet Lufthansa zu  viele Vorteile mit ihrem Vielfliegerangebot,  ihrem Netzwerk, ihren Frequenzen und ihren Lounges. Das alles kann und will Ryanair ja gar nicht bieten. Ryanair wird meiner Ansicht nach in den nächsten drei Jahren  vielleicht drei bis vier Prozent vom ,Geschäftsreise-kuchen‘ bekommen.

Qatar Airways ist am 16. Januar mit ihrem neuen Airbus A350 in Frankfurt gelandet. Welche Gefahr sehen Sie von dieser Seite? Lufthansa bekommt ihre A350 in der zweiten Jahreshälfte 2016. Ist das nachteilig für den Wettbewerb? Beim Airbus A350 hätte ich von Lufthansa etwas mehr Mut erwartet, man hätte forscher voranschreiten können, denn ich glaube, dass es ein sehr gutes Produkt ist. In der Vergangenheit war häufig Lufthansa unter den Erstkunden. Etwas früher hätten sie ruhig da sein können. In Zeiten von Kostensenkungen hat das aber wohl keine hohe Priorität gehabt.

Ist es ein Nachteil für den Wettbewerb? Den sehe ich nicht ganz so gravierend. Faktoren wie extremer Preisdruck und  Kostenmaßnahmen spielen für die deutschen Airlines eine viel größere Rolle.

Im Jahr 2014 hat sich die größte deutsche Airline so stark verändert wie selten zuvor. Alle Strecken abseits der großen Drehkreuze Frankfurt und München wurden an Germanwings übergeben, Stationen geschlossen und der Vertrieb neu strukturiert. Mit Eurowings will der Konzern in Europa und auf der Langstrecke neue, kostengünstige Angebote auf den Markt bringen. Welche Auswirkungen sehen Sie als Luftfahrt-Analyst dadurch auf die Marke? Man muss den Kunden noch genauer erklären, was man mit seinen Marken machen will. Es gibt Konzerne, die haben viele Marken unter einem Dach. Der VW-Konzern hat zwölf, vom superteuren Bugatti bis zum Seat. Trotzdem schafft man es, diese Marken sehr erfolgreich zu verkaufen. Im Airline-Geschäft ist das vielleicht nicht so alltäglich. Ich denke, man muss einfach noch etwas Geld in die Hand nehmen und dem Kunden genau erklären, was man mit einer Germanwings, Eurowings und einer Lufthansa machen will.

Heißt das, noch mehr Geld in die Werbung investieren? Ja, ich glaube, dass noch mehr Werbung gemacht werden muss. Eine Turkish Airlines ist unter anderem so schnell groß geworden, weil sie intensiv geworben hat. Nicht zuletzt auch vor allem da, wo fünf oder zehn Millionen Zuschauer erreicht werden. Etwa bei Spielen von Champions League oder Bundesliga. Dort ist die Aufmerksamkeit extrem hoch. Wenn man Fußball schaut, schaut man anders, als wenn man sich eine Soap Opera anschaut. Diese Kunden hat Turkish Airlines erfolgreich auf ihre Seite gebracht.

Die Pilotengewerkschaft ,Vereinigung Cockpit‘ spricht in ihrem Neujahrs-Schrei- ben an ihre Mitglieder von einer ,Trennung von Marke und Produktion‘ und zeigt in erster Linie die Nachteile für die Beschäftigten auf, die ,billiger produzieren müssten‘. Wie sieht eine Trennung von Marke und Produktion aus Analystensicht aus? Wenn sich Märkte verändern, ist es sinnlos und falsch sich dagegen zu stellen. Märkte werden nicht von einer bestimmten Berufsgruppe bestimmt. Der Markt folgt nicht dem Willen der Piloten. Der Markt folgt dem, was die Mehrheit der Konsumenten für gut und richtig hält. Ein Käufer eines Bentley ist ein anspruchsvoller Kunde, der trotzdem akzeptiert, dass im selben Konzern Skodas gebaut werden und, dass zu einem gewissen Prozentsatz sogar dieselben Teile verwendet werden. Er akzeptiert das, solange er einen guten Gegenwert für sein Geld bekommt. Eine Airline kann mit mehreren Marken fliegen, wenn diese sauber abgegrenzt sind und die Kundschaft in der richtigen Art und Weise angesprochen wird.

Wären  tarifvertragsfreie Produktionsbetriebe aus Analystensicht das Allheilmittel für das Überleben im globalen Markt, speziell im Luftverkehrs-Markt? Theoretisch ist das sicherlich möglich. Ich glaube aber in Europa kommt man ohne Arbeitnehmerorga-nisationen nicht gut zurecht. Eine gewerkschafts- und verbandfreie Organisation passt für die Arbeitnehmer- wie für die Arbeitgeberseite nicht in unsere europäische Kultur. Wir wol- len keinen völlig freien Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt. Wir wollen und sind es gewohnt, Interessenvertreter zu haben. Wir möchten uns aufgehoben fühlen in einer Gruppe von Gleichgesinnten und wollen keine Wildwest-Kultur, in der jeder versucht,  sein Glück selber zu finden.

Welche Turbulenzen sehen Sie auf die größte deutsche Airline zukommen? Ich sehe eine Fortsetzung dessen, was wir in den letzten paar Jahren gesehen haben: Marktanteilsverluste in den meisten Regionen. Ich sehe, dass das Asiengeschäft absolut nicht leichter wird, weil die Wirtschaft auch in China ganz leicht anfängt schwächer zu werden und weil die asiatischen Carrier ihre großen Bestellungen getätigt haben, weil sie Kapazität aufbauen. In Europa werden Easyjet und Ryanair sehr aggressiv bleiben. Die Auseinandersetzung mit den Piloten ist ungelöst, um nur einige Konfliktpunkte zu nennen. Andererseits glaube ich, dass sich die europäische Konjunktur langsam erholt. In den USA läuft es weiterhin gut. Ich denke auch, dass die Kostenmaßnahmen greifen werden. Ich bin auch so optimistisch und sage, dass Lufthansa innerhalb von wenigen Monaten den Konflikt mit ihren Piloten löst. Es wird einen Kompromiss geben. Er wird in der Mitte der beiden derzeitigen Positionen liegen.

Interview: Johanna Wenninger-Muhr

Jürgen Pieper ist seit 2003 Chef-Analyst des Bereichs ,Equities Research‘ des Bankhauses Metzler und seit Oktober 2014 Chef aller Research-Aktivitäten der Metzler Bank. Das Handelsblatt und die Analysefirma Starmine zeichneten Pieper in 2013 unter mehr als 1 500 Börsenexperten als ,Analyst mit den besten Aktienempfehlungen´aus.

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