„Stealth Luxury“ ist maskierter Statuskonsum, der wie eine Tarnkappe funktioniert
Der neue Luxus postmaterieller Eliten sei ein Code, den nur Eingeweihte kennen und nicht sofort sichtbar. Das behaupten die Autoren Holm Friebe und Charlotte Noltenius in der Novemberausgabe `trend update´, dem Magazin des Zukunftsinstituts von Matthias Horx.
Friebe und Noltenius nennen es „Stealth Luxury“. „Bling und Glamour seien over“. Vorbei sei öffentlich zur Schau gestellter Luxus, denn er gelte in Zeiten von Eurokrisen und Schuldendesastern als dekadent und obszön. Auch in Deutschland leide nicht jeder unter der Finanzkrise und bange um sein Vermögen. Eine schmale Oberschicht sei völlig unbeschadet und ohne Einbußen durch die vergangenen Jahre gekommen, konnte ihr Vermögen sogar noch mehren. Von den zehn Billionen Euro Nettovermögen der Deutschen besitzen die obersten zehn Prozent über die Hälfte, etwa 53 Prozent. Das belege der aktuelle Armuts- und Reichtums-bericht der Bundesregierung eindrücklich. Laut DIW-Berechnungen von 2007 besitzt das reichste Promille ein Viertel des Gesamtvermögens der Deutschen. Diese Oberschicht wolle einen elitären Lebensstil unter sich und ihresgleichen kultivieren und in Ruhe gelassen werden. Das Vehikel dazu sei ein Konsumstil, der das Widersprüch-liche verbinde: den Eingeweihten den eigenen Status signalisieren und gleichzeitig unter dem Radar der Mehrheit bleiben. `Stealth Luxury´ ein maskierter Statuskonsum, der wie eine Tarnkappe funktioniere.
Ärtze heiraten keine Krankenschwestern mehr
Seit 1997 unter der Regierung Schröder die Vermögenssteuer abgeschafft wurde, könnten sich Vermögen in Deutschland ungestört vermehren und würden auch fiskalisch nicht mehr erfasst. Allein durch Vererbung in den kommenden zehn Jahren würden Vermögen von über zwei Billionen Euro dazu beitragen. Neben dem Faktor Vererbung würde zur `sozialen Entmischung´ zudem ein verändertes Paarungsverhalten beitragen. „Ärzte heiraten keine Krankenschwestern mehr“ fasst Armutsforscher Markus Grabka seine Analyse der Daten des Sozioökonischen Panels zusammen. Wo früher Heirat noch ein Ventil für soziale Mobilität darstellte, seien heute `die Schotten dicht´. Vier Fünftel aller Ehen würden innerhalb der eigenen Schicht geschlossen. Die neuen aufgeklärten Eliten seien unsichtbar, verließen das Gemeinwesen auf leisen Sohlen und seien peinlich darauf bedacht, niemandem auf die Füße zu treten. Die Mehrheit des reichsten Prozents der Bevölkerung, zu dem man bereits ab einem Jahres-Einkommen von 126 000 Euro zähle, sähe sich selbst nicht einmal als reich an, sondern als ganz normal, wie ein Artikel in Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung herausstreiche: „Tatsächlich gebe es immer noch jemanden, der nicht `bloß` den 5er-BMW ährt, sondern die S-Klasse.“
`Conspicious Consumpiton´, auffälliger Konsum, hätte Thorstein Veblen in seiner „Theory of the Leisure Class´ von 1899 den gut beobachtbaren, weil zu Schau gestellten, Luxus der Reichen und Schönen bezeichnet. `Haste was, biste was`…… diese Devise hätte bis weit in die Wirtschaftswunderwelt gegolten. Erst in den 70er Jahren diagnostizierte der Soziologe Pierre Bourdieux ein sukzessives Verschwinden des protzigen Angeberkonsums zugunsten subtilerer Formen. Die feinen Unterschiede seien ein raffiniertes Hierarchiesystem bildungsbürgerlicher Codes, in dem neben ökonomischen auch soziales und kulturelles Kapital zum eigenen Status dienen könne. Erlesener Stil und guter Geschmack begründeten einen Habitus gehobener Herkunft und würden kostspielige Insignien der Emporkömmlinge ausstechen.
Bobos in Paradise
Ein Buch, das die Verschiebungen im Konsum-Code der neuen Oberschicht am präzisesten erfasse, sei David Brooks `Bobos in Paradise`aus dem Jahr 2000. Der neue Verhaltenskodex betreffe vor allem das Konsumverhalten der Bildungsschicht. Er ermuntere zu bestimmten Ausgaben, die als tugendhaft gelten und entwerte andere, die als vulgär oder elitär erachtet werden. Die Regeln definierten damit neu, was es heiße, ein kultivierter Mensch zu sein. Das Schwelgen in den von jedermann sichtbaren lesbaren Insignien des Erfolgs wandere ab zu den Neureichen in den aufstrebenden Schwellenländern, was momentan noch den Herstellern von deutscher Limousinen und Luxusgüterkonzernen wie LVHM (Louis Vuitton & Co) die Bilanz rette. In China allerdings gerieten Funktionäre unter Druck, weil Blogger auf Pressefotos deren Schweizer Luxusuhren identifizierten und mit Preisschildern versähen.
Pelz nach innen
`Stealth Luxury´ speise sich aus der Geisteshaltung des `Lifestyle of health and sustain-ability` und spiegele den Zeitgeist der luxuriösen Askese als `Besinnung auf die wesentlichen Dinge des Lebens`. Vor allem reagiere er auf das veränderte Klima seit der Wirtschafts- und Finanzkrise. „Protz und Pomp sind out“, schreibt das Manager Magazin schon 2009. Man trägt den Pelz nach innen. Gefragt seien heute dezente Designs, dafür hochwertige Verarbeitung und edelste Materialien, deren Wert nur für Insider erkennbar sei, heißt es in der Luxusgüterstudie von Bain & Company. Neben Luxusklassikern wie Hermès oder Patek Philippe würden kleine und feine Marken an Bedeutung gewinnen. Etwa der italienische Kaschmirspezialist Loro Piana oder der österreichische Schuhmacher Ludwig Reiter. Besonders en vogue sei in einschlägigen Kreisen `Qiveut´, eine Manufaktur aus Alaska, die in zweiter Generation edelste Strickwaren aus dem Fell von Moschusochsen produziere. Bei den Uhren seien es eher schlichte Zeitmesser kleiner Manufakturen, Vintage-Uhren und limitierte Editionen, die Rolex den Rang abliefen.
Material Mix aus Segeltuch und Plastik für 40 000 Euro
Besonders gut lasse sich der Stimmungswandel an der Handtasche ablesen. Die Hautevolee schwenke neuerdings auf Dezentes um. Bottega Veneta etwa verzichte vollständig auf außen angebrachte Logos oder Initialen und sei für Eingeweihte allein am typischen Leder-Flechtmuster zu erkennen. Bei einer Befragung unter wohlhabenden Amerikanerinnen belegte Bottega Veneta den Rang der prestigeträchtigsten Luxusmarke. Darüber komme nur noch Marc Jacobs, der avantgardistische Taschen-Kunstwerke in wenigen hundert Exemplaren kreiere, die 30 000 und 40 000 Euro kosteten, aber aus einem Segeltuch- und Plastik Mix seien, der nach nichts aussähe. Dramatisch – und für deutsche Autobauer alarmierend – sei der Bedeutungsverlust des Autos als Statussymbol. Laut einer Umfrage aus dem Jahr 2011 würden die Deutschen dem Auto nicht mehr Prestige bei als einem Smartphone oder einem Luxusurlaub zuschreiben.
Das Fahrrad
Neben iPhone und iPad sei der aktuelle Gegenstand der Selbststilisierung in den Metropolen vor allem das Fahrrad, das eine enorme Aufwertung erfahre. Vom draufgängerisch-puristischen `Fixie´ bis zum Retro-Drahtesel aus der kleinen norditalienischen Traditionsmanufaktur reichten das Spektrum der Ausdrucksmöglichkeiten und die Preise dafür schon mal an den gebrauchten Mittelklasse-PKW heran. In großstädtischen Szenevierteln wie der Hamburger Schanze oder Berlins Prenzlauer Berg ersetzten Fahrräder komplett den familiären Fuhrpark. Damit korrespondierten diese Fahrräder mit einer Entwicklung, die sich bei Kinderwägen– der Bugaboo in nachtblauem Denim für 990 Euro sollte es schon sein – längst vollzogen hat.
Traditionelle Fertigungsweisen, Manufakturen und Handwerk
Fakt sei, dass hinter den neuen Kauf- und Konsummustern neue Märkte schlummerten, die zwar zahlenmäßig keine großen Volumina darstellten, dafür aber mit großen Margen ausgestattet seien. Für die Wirtschaft, so die Autoren, sei diese Nachfrage ein zweifacher Segen. Zum einen sei sie Stabilitätsanker auch bei schwacher Konjunktur. Insbesondere für die deutsche Wirtschaft, die stark von Exporten abhänge, stelle das weltweit robuste Luxussegment ein Korrektiv für die hin und wieder schwache Binnennachfrage dar. Zudem kitzele die Nachfrage nach dem Besonderen das Beste hervor, was eine Volkswirt-schaft zu bieten habe, was traditionelle Fertigungsweisen, Manufakturen und Handarbeit angehe, die durch die Nachfrage der Superreichen konserviert werde.
DIE REGELN VON „STEALTH LUXURY“
Muster und Regeln, nach denen der Statuskonsum der neuen Elite funktioniert, hat schon David Brooks in „Bobos in Paradise“ aufgelistet. Hier drei der Grundprinzipien:
ERSTE REGEL
Unsummen für Dinge ausgeben, die früher einmal billig waren. Das können Geschirrtücher aus Bielefelder Leinen für 15 Euro das Stück sein oder ein Moleskine-Notizbuch für 22,50 Euro. Der Manufactum-Katalog ist voll von Dingen, die es in einfacher Ausführung zu einem Zehntel des Preises in jedem Supermarkt gibt. Nach dem Motto: „Wir kaufen das Gleiche wie das Proletariat, nur etwas verfeinert. Wir schaffen es, einen immer erleseneren Geschmack für immer einfachere Dinge zu entwickeln.“
ZWEITE REGEL
„Perfektionismus der kleinen Dinge“ ist damit eng verwandt und hat mehr mit dem Zeitaufwand zu tun, den die neue Oberschicht in die Verfeinerung ihres Lebensstils investiert. „Sie kämmen Kataloge durch, bis sie den in der Schweiz gefertigten KWC-Wasserhahn gefunden haben, der vielen als die beste Geschirrbrause der Welt gilt“, schreibt Brooks. Kennerschaft nicht nur bei Wein, Whisky und Zigarren aufzubauen, sondern bei Schokolade, Küchenutensilien und Kinderbekleidung, inklusive des intensiven kommunikativen Austauschs darüber – das ist „Stealth Luxury“ in der Praxis.
DRITTE REGEL
„Professionalisierung“. Der Wechsel ins Profisegment bietet unendlichen Spielraum, für mehr Qualität sehr viel mehr Geld auszugeben. Der Preisaufschlag, den man in der alten Glamour-Welt für das Prestige der edlen Marke investiert hat, fließt nun in einen luxuriösen Überschuss an Leistungskraft, Robustheit oder Verarbeitungsqualität, je nachdem, ob es sich um ein Schlauchboot handelt, wie es auch die Marine einsetzt, eine Kettensäge oder eine Gastronomie-Espressomaschine.