`Wir vom Südatlantik´ – Erinnerungen von Martin Naumann

Martin Naumann, Autor und Cpt. i. R.
Martin Naumann, Autor und Cpt. i. R.

Das kennt man heute nicht mehr, dass jemand: „Da habe ich aber Glück gehabt“, sagt, wenn er den neuen Dienstplan in Händen hält. „Südatlantik!“ – das war Mitte der Sechziger wie bezahlter Urlaub. Man war sicher, Gleichgesinnte auf dieser Strecke zu treffen, gutaussehende Stewards und die aparten Kolleginnen. Also ältere wohl eher, ich könnte sagen reifere – jedenfalls genau genommen in ihrem besten Alter. Na, und unsere jungen Copiloten – Herrgott, in Uniform sieht natürlich jeder gut aus – also jung und beneidenswert!

Damals flogen wir mit einer Ersten Klasse zu 32 Sitzen. Viele `Oft-Flieger´ – und wie das damals in Südamerika üblich war, saßen Gäste mit extremsten Weltanschauungen einträchtig nebeneinander, nämlich die, die vor 45 Deutschland verlassen mussten und jene , denen der Boden nach 45 zu heiß wurde. Sie waren nun alle Brasilianer – und sie waren sehr anspruchsvoll. Es waren Leute, die Personal gewohnt waren und `ksss-ksss´ durch die Zähne zischten, wenn sie etwas vom Personal wünschten. Ich behaupte mal, dass viele von ihnen (oder jedenfalls einer ihrer Verwandten) in Rio ein eigenes Reisebüro aufgemacht hatten, weil sie dann für ihre private Ausflüge in der ersten Klasse Rabatte auf Tickets beanspruchen konnten.

Sie waren in der Tat sehr anspruchsvoll und deshalb versuchten besonders unsere Purseretten, es ihnen auch recht zu machen. Der Service war in der Tat tadellos: Vor dem Kaffee-Service wurden die Kaffeetassen angewärmt indem man sie zunächst in heißes Wasser tauchte, dann aber den Henkel schnell in kaltes! Decken wurden Karo auf Karo zusammengelegt, was mit der Zeit ein typisches Markenzeichen von `wir auf dem Südatlantik´ geworden war. Man darf wohl sagen, dass das auch übertrieben wurde. Ich erinnere mich, wie eines Nachts der First-Class-Steward ins Cockpit kam, sich offenbar mental erschöpft auf dem Jump-seat niederließ und sagte: „Wenn ich die Tür aufkriegte, würde ich sie rausschmeißen!“ Er litt, wie so mancher seiner Kollegen, unter der Purserette – weshalb man ihn auch gern den `Leibeigenen´ nannte.

Es war schon etwas Besonderes, auf dem Südatlantik zu fliegen und jedermann nahm diese elitäre Atmosphäre gern an. Es war etwas anderes als kurz mal nach Chicago und zurück. Es hatte etwas! – und schließlich: wenn man zehn Tage von zu Hause weg war und auch noch deutlich mehr als tausend Meilen – dann konnte es passieren, dass man sich so angenehm von der Welt befreit fühlte. Man ahnte, hier seien Gleichgesinnte auf einer gemeinsamen Reise unterwegs und es fand sich in der Crew bald jemand, der sich auf ein Gespräch einließ – bei dem sich dann gelegentlich eine erfreuliche Überein-stimmung der Standpunkte ergab.

Das gibt zu denken! Nämlich: ich war damals ganz frisch verheiratet, glücklich sogar und habe vielleicht so manche Gelegenheit ausgelassen – aber jetzt, da ich das schreibe, muss ich auch sagen, dass ich gerade die verpassten Gelegenheiten heute noch in guter – also wirklich guter! – Erinnerung habe.

Lufthansa bediente Südamerika mit zwei wöchentlichen Flügen von Frankfurt über Zürich und Dakar nach Rio de Janeiro. Von dort ging es über Sao Paulo oder Montevideo und Buenos Aires nach Santiago de Chile.
Wenn man also abends Frankfurt verließ, konnte man noch in derselben, aber westafrika-nischen Nacht in Dakar sein, – natürlich müde.

Aber wenn dann morgens die Sonne aufging, blickte man über einen weiten, terrassierten Garten, über eine kleine Bucht mit weißem Strand und über eine kleine vorgelagerte Insel. Noch lag Dunst über dem Meer, aber die Sonne steigt schnell – und bald sah man unsere Kolleginnen, wie sie sich mit ihren großen Sonnenschutzölflaschen auf den Steg begaben, um dort bis zum Sonnenuntergang zu schmoren.
Also duschte man und wanderte ein paar Terrassen hinab zu einer mit Bougainvillea überwucherten Bar, wo man Milchkaffee und ein „sanwieß“, wie die Einheimischen es dort aussprachen, zu sich nehmen konnte. Wenn man sich umdrehte, sah man den imponierenden Bau. Der Architekt des Hotels soll ein Schüler Le Courbusiers gewesen sein. Es war ein großes Objekt, ein flacher Kreisbogen, so dass – wo immer der Wind auch herkommen konnte – ein aerodynamischer Effekt entstand, insofern nämlich, als nun auf Vorder- und Rückseite des Gebäudes ein kleiner Druckunterschied dazu führte, dass alle Zimmer leicht ventiliert wurden. Es waren tatsächlich auch Klimaanlagen völlig entbehrlich. (Man hat es später umgebaut – was völlig idiotisch war.)

Dann aber schnell unter den Sonnenschirm am Strand auf 15° Nord, wo es immer schönes Wetter gab, Regen bestenfalls zum französischen Feiertag, dem 14. Juli. Ja, es war noch sehr französisch damals in Dakar. Am Donnerstag-Nachmittag kamen die bildschönen Mütter mit ihren reizenden Kindern zum Strand. (Franzosen haben immer am Donnerstag-Nachmittag frei.) Schön anzusehen, nicht zu vergessen auch die einheimi-schen Damen in ihren üppigen Organdy- oder Organza-Kleidern und ihrem unnachahm-lichem Gang: toll!
Nachmittags vielleicht den Weg zum Kap – dem westlichsten Punkt Afrikas – auf ein paar Austern. Abends vorzügliches Essen im Hotel. Ich habe dort Beef-Tartar und Salat gegessen und nie ein Problem mit der Verdauung gehabt – im Gegensatz zu Fritze Grimm, der seine Stullen mitbrachte und jedes Mal Durchfall bekam. Aber auch in einem nahegelegenen Bungalow vorzügliches Essen – oder in der Stadt: Restaurant am Wasser auf einem Steg, unter dem sich bei Dunkelheit die Wellen brachen und Blitze erzeugten. Darüber das Kreuz des Südens – das aber enttäuschend, denn der Winter-Sternenhimmel in unseren Breiten bietet viel, viel mehr.

Und das konnte man nun drei Tage genießen, denn – wie ich schon sagte: wir hatten nur zwei Frequenzen. Dann ging es nachts nach Rio!

Auf diesem Teilstück durchfliegt man die Intertropical front. Man konnte sie schon von Weitem blitzen sehen. Wir hatten unser Radar an – es war noch ein Gerät, das mit monochromem Grün auskam und auch eine plumpe Automatic-Einstellung hatte. Man musste das Gerät aber verstehen – dann war es der heutigen Technologie um Nichts unterlegen. Wir justierten unser RADAR und wählten eine dünne Stelle in der Front – und in der Regel klappte es so, denn es war im Allgemeinen keine geschlossene Linie und es genügten häufig kleine Kurskorrekturen, die Kerne der Gewitter zu umgehen. Es wird erzählt, dass ein Kapitän so weit ausgewichen war, dass der Navigator bemerkt haben soll: „Jetzt sind Sie nicht mehr auf meiner Karte.“ Das war wohl Wolken-Hermann, ein Kollege, der im Gewitter Schlimmeres erlebt haben muss.

Die Intertropical front verdankt ihre Entstehung der Tatsache, dass am Äquator die Sonne am höchsten steht und folglich eine große Erwärmung am Boden bewirkt. Das führt zu einem Aufsteigen der Luft und die nimmt natürlich ihre ganze Feuchtigkeit mit, also den Wasserdampf, der naturgemäß über den Ozeanen besonders reichlich vorhanden ist. Nun reißt also die aufsteigende Luft den Dampf mit nach oben. Im Aufsteigen kühlt sich die Luftmasse ab- und dabei verliert sie die Fähigkeit, Wasserdampf zu halten, der kondensiert und Wasser entsteht. Die Energie, die erforderlich war, das Wasser zu verdampfen, kehrt jetzt zurück und beschleunigt den Aufstieg der Luft. Dabei kühlt sie sich weiter ab und erneut entsteht Wasser und erneut wird Energie frei. So steigt also die Luft wie in einem Schlauch nach oben bis der ganze Dampf in Wasser oder Eis verwandelt ist. Das gibt die wunderschönen Kumulus-Wolken, prächtig anzusehen vielleicht, aber gefährlich im Innern: Eisklumpen wie Tennisbälle, die im Auf und Ab mit Geschwindig-keiten von 60 m/sec – also ungefähr – die die ganze Karosserie verbeulen könnten.

Dennoch war das ganze navigatorisch kein größeres Problem, denn wenn auch mit einer Menge an auf-und absteigenden Winden zu rechnen war, so war doch wenig in der Horizontalen los und wenn man gut gekoppelt hatte, auch die Abweichungen vom Kurs sauber getimed hatte, dann kam man in die Reichweite des Fernando-de-Noronha-Funkfeuers und konnte die letzten 100 NM wieder ganz ordentlich auf Kurs sein.

Schon vor Recife ging die Sonne auf, der Bart begann zu wachsen, man hätte sich gern geduscht – aber darauf mussten man noch vier Stunden warten. Bei Recife bekamen wir die letzten Wetter-Infos. Ich habe selber schlechtes Wetter in Rio nicht erlebt. Es gibt aber auch Wetterlagen mit Nebel oder schwerem Regen. Dennoch ist das Wetter im Allgemeinen dort wie im Urlaub – und da überwindet man schnell die aufkommende Müdigkeit, wie überhaupt in den letzen 60 Minute vor der Landung ein Hormonstoß einsetzt, der oft eine kleine Euphorie auslöst. Aber auf der Fahrt vom Flughafen zum Hotel nickte dann so mancher ein.

Bei Ankunft im Hotel, dem EXCELSIOR, teilte der Purser oder die Purserin die Zimmer zu. Ich bekam meinen Schlüssel in der Regel als Erster, ich bedankte mich und sagte: „Sie werden mir schon ein schönes Zimmer zugeteilt haben.“ Es war im 2. Stock, ausgerichtet auf den Hinterhof, von dem unter Getöse morgendlich die Mülltonnen abgefahren wurden. Vom Himmel sah man nichts. Man musste schon das Haus verlassen, um etwas von der Welt zu sehen.

Das EXCELSIOR lag direkt an der Avenida Atlantica, (und liegt es wohl auch heute noch) der Eingang war aber in der Querstraße (Rua Mendes). Man musste links aus dem Hotel und paar Schritte, dann sah man das Meer. Es galt dann nur noch die Straße auf dem Weg zum Strand zu überqueren. Autos von links und von rechts, Stoßstange an Stoßstange. Aber die Cariocas sind auch Menschen, und ich habe nicht gehört, dass jemand auf der Straße angefahren worden wäre. Ok, sie kamen manchmal schon dicht vorbei, sie bremsten auch kurz – und wenn man dann nicht gleich startete, ließ der Fahrer den linken Arm aus dem Fenster hängen und deutete an, er könne mit seiner geöffneten Hand etwas „Leichtes“ anheben. Ich verstand die Geste nicht – dachte auch mehr, es handle sich um eine Art Begrüßung – und habe mich deshalb auch gefreut. War man erst einmal drüben und blickte sich um, breitete sich Rio in seiner vollen Pracht aus: Ich habe nie schönere Menschen gesehen: die Jungs, Muskeln, Muskeln und schöne Haut, die Mädchen noch schönere Haut und Hintern, wie es sie sonst auf der Welt nicht zu sehen gibt. Sie spielen den ganzen Tag Beach-Volleyball (oder war es Beach-Fußball?) mit irrer Eleganz und urplötzlich rasen sie über den weißen Sand ins Meer, tauchen durch die Brandung- behände wie die Delphine – oder „den Delphinen gleich“ – wie der Dichter sagen würde. Man dürfte sich blöd vorkommen, wen man bleich – wie wir nun mal sind – ins Wasser tapse.

Natürlich liebt man es in Brasilien, sich mit Klunkern zu behängen und goldene Uhren zu tragen, aber doch nicht am Strand! Das habe etwas Protziges. Und es sei auch unklug:

Natürlich war es unklug, Wertsachen mit an den Strand zu nehmen. Die kleinen Buben aus den Favelas klauten alles, selbst wenn man hinguckte: sie konnten schnell durch den Verkehr über die Straße – und dann waren sie weg. Hübsche Kinder und so aufgeweckt!

Abends dann bei Jimmy, einem frühen Einwanderer. Er soll mit dem Zeppelin gekom-men und geblieben sein. Ihm gehörte eine Churrascaria, ein dort weit verbreiteten Restau-rantstil. Im Freien, natürlich, unter einem Blätterdach, durch das gelegentlich eine Katze brach und auf dem Tisch landete, also selten – und Ratten habe ich nie gesehen. Im Eingang eine Grube von vielleicht anderthalb mal vier Meter, voller Glut, Spieße stecken an den Rändern, das Feuer flackert, es knackt und prasselt – und die halben Lenden und Schinken zizelten (onomatopoetisch) um die Wette. Auf den Tischen Schüsseln mit Tomatenscheiben in Essig, Öl und Zwiebeln – natürlich gratis). Wenn man zur rechten Zeit dort war, war das Schweinefilet gerade richtig, Rinderfilet wurde immer nach Wunsch gegrillt, und es gab Chorrizo, eine Wurst, grob und würzig. Ich nahm immer gern von jedem eine halbe Portion – und das zusammen war eine gute Grundlage für die vielen, vielen Gläschen, die noch zu erwähnen wären.

Man traf sich dort, man saß zusammen und aß und man trank miteinander von einem Rohrzuckerschnaps mit Limone, der Cachaça hieß und in kleinen Gläschen serviert wurde Und weil das Geld einer rasanten Inflation unterlag und es sich nicht lohnte, es mit nach Hause zu nehmen, sagten wir uns also „hau’n wirs’s auf ‘n Kopp!“ Man bestellte nach Herzenslust und nach dem dritten, duzte man sich – und so weiter und so weiter. Wenn wir zahlten, rief Jimmy noch „Nilo da Café“ – der Espresso war gratis – wir gaben Nilo natürlich reichlich – wie man eben leicht verschwenderisch wird, wenn man in guter Stimmung ist. Manchmal fiel es mir dann im Hotel schwer, die Hose noch auf den Bügel zu bekommen – aber es gelang schließlich und ich hatte in der Regel einen ruhigen Schlaf und nie einen Kater.

Angesichts aber einer solchen Fröhlichkeit und Verbrüderung konnte es schon passieren, dass man sich auf dem Heimweg einhakte – ich lasse hier mal offen, wer da die Initiative ergriffen hat, – und wenn dann die Luft so lau war und die Sterne so funkelten – dass dann der Fahrstuhl im zweiten Stock nicht hielt. Und wenn man dann morgens die Augen aufmachte, waren da keine Mülltonnen: Stattdessen schien die Sonne auf eine kleine Terrasse im 8. Stock. Der erste Schreck – wo bin ich? – er verging – es kommt halt vor, – und dann duschte man gemeinsam und anschließend ließ man sich das Frühstück auf der Terrasse servieren. Von den Papayas träume ich noch heute.

Ich schreibe das, weil mir gerade einfällt, dass es einem Kollegen bei solcher Gelegenheit klar geworden sein musste, dass in Rio der Concierge die Zimmer mit dem Purser auskungelte – das Personal war eben beeinflussbar (für was immer auch mitgebracht wurde) – und wer hätte denn das Zimmer mit dem Blick auf den Müll haben sollen? Mein Kollege schrieb also erbost an die Flottenleitung (da habe ich es erfahren und hier etwas ausgeschmückt) und fortan konnte man das Balkonzimmer selbstverständlich gleich haben. Wenn ich’s mir aber überlege, ist es rein theoretisch doch reizvoller, ins Balkonzimmer eingeladen zu werden.

Am nächsten Abend mussten wir dann Abschied nehmen von Rio. Wir konnten den Tag noch ausspannen, denn auch zurück war es ein Nachtflug.

Hatte man auf dem Hinflug nach Dakar drei Tage frei, so waren es zurück vier, genügend Zeit um die Stimmung zu genießen, zusammen auszuspannen, gelegentlich auch Abschied zu nehmen. Die Hoffnung blieb manchmal, man könnte sich wiedersehen. Aber die Einsatzplanung – über die ich auch noch schreiben will – hatte andere Sorgen. Es ging zurück über Zürich nach Frankfurt, natürlich des nachts, und nach zehn schönen Tagen begann nun wieder die Routine des Flieger-Lebens. Man hatte kaum mit Jet-lag zu kämpfen und schon drei Tage später war man unterwegs, zum Beispiel mit Breitscheidel nach Chicago.
Davon will ich an anderer Stelle erzählen, das wird auf andere Weise spannend werden.

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