Der Ansturm der Billigflieger auf die großen Flughäfen dürfte die hiesige Luftfahrtbranche nach Ansicht von Eurowings-Chef Karl Ulrich Garnadt ein weiteres Mal umkrempeln. „Wir kriegen eine Intensität des Wettbewerbs, wie wir ihn bisher noch nicht gesehen haben“, sagte das für die Lufthansa-Tochter Eurowings zuständige Vorstandsmitglied am 7. September am Rande des fvw-Touristikkongresses in Essen.
Das werde der zweite „epochale Bruch“ nachdem vor 15 Jahren erstmals Billigflieger den Markt in Europa aufgemischt haben. 180 Fluggesellschaften in Europa könnten auf Dauer keinen Bestand haben, prognostizierte Garnadt. Als Treiber für die Umwälzung er die stark wachsenden Flotten von Ryanair und Easyjet. Um hunderte neue Maschi- nen vollzubekommen, gingen die Billigflieger nun an die größeren Flughäfen. Seit März fordert etwa die Air-France-KLM-Billig-tochter Transavia die Lufthansa an deren Drehkreuz München mit Billigangeboten heraus. Und auch Lufthansa reagiert: Im Laufe des Jahres 2017 werde auch Eurowings Flüge ab München anbieten, sagte Garnadt. Im eigenen Betrieb müsse sich Eurowings weiter sortieren. Nach Personalproblemen und erheblichen Verspätungen auf Langstreckenflügen versucht Garnadt den Betrieb zu stabilisieren.
Komplett offen
Die Strecke Köln-Boston musste er früher aus dem Programm nehmen als geplant, weil es an Piloten fehlte. Bisher verfügt Eurowings über gut 90 Flugzeuge. Die Zahl der Langstreckenjets soll bis März 2017 von vier auf sieben Jets wachsen. Garnadt hofft, dass andere Fluggesellschaften unter das Eurowings-Dach schlüpfen. Eine könnte die Lufthansa-Beteiligung Brussels Airlines sein. Auch mit Air Berlin soll es Gespräche geben und auch auf die Thomas-Cook-Tochter Condor hat die Lufthansa angeblich auch ein Auge geworfen. Man sei komplett offen, so Garnadt.
Auch die Deutsche Flugsicherung (DFS) sieht Wachstum im deutschen Luftverkehr, vor allem bei den Billigfliegern. Airlines wie Ryanair, Easyjet oder Wizz drängten auf Flughäfen in den Ballungszentren, sagte DFS-Chef Klaus-Dieter Scheurle in Langen bei Frankfurt. Mit zusätzlichen Angeboten wüchsen die Billiganbieter schneller als die Lufthansa. Die höchsten Wachstumsraten auf dem deutschen Markt traut die DFS jedoch staatlichen Airlines aus der Türkei und dem Nahen Osten zu.
Was die deutschen Flughäfen angeht, rechnet die DFS damit, dass die Bedeutung der großen Drehkreuze stagniert. Mit München und Düsseldorf seien zuletzt zwar zwei große Flughäfen gewachsen, das größte Drehkreuz Frankfurt aber nicht. Wegen vermehrter Billigflüge wüchsen Flughäfen in Ballungszentren deutlich. Weniger Starts und Landungen seien hingegen an Regionalflughäfen zu erwarten.
Überzeugungsarbeit bei den Piloten erforderlich
Um bei der Expansion der Billiganbieter mitzuhalten, ihnen Paroli bieten zu können und Eurowings, nach Ryanair und Easyjet, zum drittgrößten Low-Cost-Anbieter in Europa aufbauen zu können, gibt es im Lufthansa-Konzern aber noch einiges zu tun. So muss es gelingen, die etablierten Konzern-Piloten von der Strategie zu überzeugen. Man habe einen Pilotenmangel, vor allem auf der Langstrecke, hätte eine mit der Sache vertraute Person von Eurowings dem „Handelsblatt“ gesagt. Der Grund liege bei der Pilotenausbildung. Vor allem auf der Langstrecke fehle derzeit Cockpitpersonal. Hintergrund sei der Ausbau der Marke Eurowings. Der Mutter-konzern Lufthansa setze aus Kostengründen auf neues Cockpit-Personal. Die etablierten Piloten würden das verhindern wollen. „Wir müssen bei einer Entwertung unserer Jobs ja nicht auch noch mithelfen“, zitiert das „Handelsblatt“ einen Lufthansa-Flugzeugführer. Ein Insider sagte der Zeitung: Die Piloten würden in dieser Sache Druck ausüben wollen – und zwar über die Ausbildung. Denn auf einmal seien mehr Neulinge durch die Tests gefallen. Alles Piloten, die der Eurowings nicht zur Verfügung stehen. Ähnliche Berichte über die Pilotenausbildung der Eurowings hatte es bereits Anfang 2015 gegeben.
Das Kunststück: Die Win-Win-Situation
Die Eurowings hat auf der Langstrecke zuletzt mehrfach umgeplant. So wurde zum Beispiel erst kürzlich die Verbindung Köln/Bonn-Boston früher als geplant eingestellt. Die Flüge nach Las Vegas wurden auf den Juli 2017 verschoben, und die kürzlich gestartete Strecke Köln/- Bonn-Miami hätte eigentlich schon im Mai starten sollen. Unter der neuen Lufthansa-Marke „Eurowings“ will die Lufthansa Group nach Ryanair und Easyjet den drittgrößte Low-Cost-Anbieter in Europa aufbauen. Es geht bei der Strategie aber nicht nur um innereuropäische Strecken, sondern auch um Billigangebote auf der Langstrecke.
Es ist also Weitblick von beiden Seiten gefordert. Die viel beschworene „Win-Win-Situation“ wird hier das Kunststück sein. (jwm)
Quellen: Frankfurter Rundschau, DFS, fvw, Handelsblatt