Lufthansa-Chef Carsten Spohr sei im vorigen Oktober laut Wirtschaftswoche beim Ausblick auf 2016 „für seine Verhältnisse ungewohnt verhalten“ gewesen. Es werde kein ganz leichtes Jahr für Fluglinien hätte er prophezeit. „Spohr“, so das Wochenmagazin,“ irrte sich. 2016 wird für die Flugbranche nicht nur schwierig, sondern deutlich schlechter als erwartet.“
Auf jeden Fall hatte Spohr diese Woche – genauso wie Easyjet, Air France und British-Airways-Mutter IAG – einen Umsatzrückgang und eine Verfehlung des Gewinnziels gemeldet. Weitere werden folgen, glaubt Andrew Lobbenberg, Analyst der Investmentbank HSBC, in einer aktuellen Studie: „Selbst bei Ryanair ist eine Gewinnwarnung wahrscheinlich.“ Air Berlin sieht Lobbenberg nahe der Insolvenz, die Aktie sieht er auf einen Cent Restwert abschmieren. Lufthansa oder der ungarische Billigflieger Wizz Air machten zwischen April und Juni zwar noch mehr Gewinn als im selben Quartal des Vorjahres. Doch das sei nur dem guten Geschäft bis April und dem niedrigen Spritpreis geschuldet. Seit Juni füllten die Linien ihre Flieger immer häufiger nur mithilfe von Sonderangeboten. Laut einer Studie des auf die Branche spezialisierten Marktforschers Capa könnten im Sommerquartal die Einnahmen pro Passagier noch mal um zehn Prozent sinken und die Kosten um bis zu fünf Prozent klettern.
Opfer höherer Gewalt oder hausgemachte Probleme – oder beides?
Die Flugbranche sieht sich dabei als Opfer höherer Gewalt. Die vielen Streiks und die Angst vor Terror oder dem Brexit ließen ungewöhnlich viele Kunden beim Urlaub zögern, ist sich Easyjet-Chefin Carolyn McCall sicher. Dabei vergesse die Manage- rin einen entscheidenden Punkt: die hausgemachten Probleme der Branche, schreibt die Wirtschaftswoche. Starre Firmenkulturen mit
zu wenigen Neuerungen und wegen ihrer alten Computersysteme hinke die Branche beim Einsatz neuer Technologien anderen Industrien hinterher. Extras zum Ticket, zum Beispiel kürzere Wartezeiten bei Sicherheitskontrollen am Flughafen, würden zu selten oder gar nicht verkauft. Bei Traditionslinien gebe es zu viele Hierarchieebenen. Dadurch lägen deren Verwaltungskosten bis zu 20 Prozent über denen von Billigfliegern wie Ryanair. Überdeckt würde das bisher dadurch, dass die Zahl der Passagiere stärker gewachsen sei, als die Belegschaft.
Hinzu kämen Überkapazitäten. Die vier größten Linien Europas hätten 200 neue Jets bestellt – aus Angst, im scheinbar endlosen Aufschwung nicht genug neue Maschinen zu bekommen. Weil die Kaufverträge, anders als bei US-Linien, ein Verschieben der Auslieferung kaum zuließen, vergrößerten sie ihre Flotten, obwohl sie schon die alten Flieger nicht voll bekämen.
Außerdem wachse das Angebot, weil die neuen Maschinen in der Regel größer seien als die alten. So ließe die Lufthansa-Tochter Eurowings die Zahl der Flieger zwar gleich. Doch sie ersetze ihre Bombardier-Regionaljets mit bis zu 100 Plätzen durch Airbus-Maschinen mit gut 150 Sitzen, die für viele kleinere Routen wie Düsseldorf-Birmingham oder Hamburg-Oslo zu groß seien, um sie profitabel zu füllen.
Plagt die Branche der Herdentrieb?
Zu guter Letzt plage die Branche ein Herdentrieb. So setzten derzeit alle Linien auf Billigflieger. Kaum einer suche nach Nischen wie Air Baltic aus Lettland, der mit einem breiten Angebot längerer Strecken und der Möglichkeit, schnell im Baltikum umzusteigen, eine unerwartete Wiedergeburt gelang. Wie im Gleichschritt hätte die Branche auch auf den Nachfragerückgang reagiert, nach der Entscheidung der Briten, aus der EU auszusteigen, der die Buchungen etwa bei Easyjet um zehn Prozent sinken ließ. Statt ihre Expansion zu stoppen, bauten sie ihre Kapazitäten aus und schickten ihre Flieger einfach vermehrt nach Mitteleuropa und besonders nach Deutschland, wo sie mangels Nachfrage nicht profitabel gefüllt werden könnten.
Ein schnelles Ende der Krise sei nicht in Sicht. Zwar würden erste Linien zaghaft ihr Netz neu ausrichten. So etwa Norwegian, die einige ihrer rund 200 bestellten Flugzeuge außerhalb Europas bei einer neuen Billigtochter auf den niederländi- schen und französischen Karibikinseln fliegen lassen will. Doch das sei zu wenig. „Die Wende zum Besseren kommt garantiert nicht in ein paar Wochen“, so Analyst Lobbenberg – und rät daher seinen Kunden, alle europäischen Airline-Aktien zu verkaufen.
Quelle: Wirtschaftswoche vom 5. 8. 2016