Mehrere Flughäfen gleichzeitig aus der Ferne steuern – ein unheimliches Szenario?

In den Versuchen bewältigte jeweils ein Lotse den Verkehr auf bis zu drei Flugplätzen gleichzeitig/Foto: DLR

Ob und unter welchen Bedingungen Fluglotsen mehr als einen Flughafen gleichzeitig bedienen können, wirft für Forscher und Industrie noch zahlreiche technische und auch systemergonomische Fragen auf. Seit 2016 forschen 37 internationale Partner unter Leitung des Braunschweiger DLR-Instituts für Flugführung im Rahmen des EU-Forschungs- und Innovationsprogramms Horizon 2020 an Lösungen.

Von  November 2017 bis Dezember 2018 wurden vier Simulationsversuche im DLR Remote Tower Lab in Braunschweig durchgeführt. In den Versuchen bewältigte jeweils ein Lotse den Verkehr auf bis zu drei Flugplätzen gleichzeitig.

Seit der Erfindung des Remote Tower-Konzepts durch das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) im Jahr 2002 hat das Konzept viele Entwicklungsschritte gemacht und wird mittlerweile bei ersten kleinen Flughäfen in Schweden und Deutschland für die Überwachung aus der Ferne eingesetzt. Jetzt haben Wissenschaftler des DLR gemeinsam mit Partnern Simulationsversuche durchgeführt, um herauszufinden, wie ein Fluglotse nicht nur einen, sondern mehrere Flughäfen aus der Ferne betreut. Laut Jörn Jakobi, DLR-Projektkoordinator des europäischen Forschungsprojekts ‘PJ05 Remote Tower for Multiple Airports‘ hätten die jüngsten Ergebnisse gezeigt, dass ‘Multiple‘ in naher Zukunft zu einem tragfähigen Konzept werden kann. Die Forschung eröffnet den Flugsicherungen den Weg zu einem Paradigmenwechsel, bei dem die Flugsicherung an Flughäfen entkoppelt vom Ort und von konventionellen Turmgebäuden stattfinden kann.

Mehr als einen Flughafen gleichzeitig steuern

Die Fernüberwachung eines kleinen Flughafens könne so, ist man sich sicher, mehrere Vorteile bieten. Beispielsweise reduzierten sich die Wartungs- und Betriebskosten oder schlechte Sichtbedingungen könnten durch moderne Kameratechnik kompensiert werden. Um jedoch die Vorteile des Remote-Tower-Konzepts vollständig ausschöpfen zu können, müssten Remote-Tower-Center an mehr als einen Flughafen angeschlossen sein. Dies würde eine wesentlich effizientere Zuordnung von Flughäfen zu den Fluglotsen ermöglichen. Die Lotsen arbeiten flexibel an Flughäfen, an denen Verkehr stattfindet. Bei komplexeren Verkehrssituationen könnten ein, zwei oder mehrere Lotsen einen Flughafen steuern, während in weniger intensiven Verkehrssituationen auch ein einziger Lotse für einen, zwei oder mehrere Flughäfen zuständig sein kann. Die gesammelte Überwachung mehrerer Flughäfen biete die Chance für die kleinen, kostengünstig bestehen zu können.

„split and merge“-Verfahren hilft Workload-Extrem zu vermeiden

Die Teilnehmer des Forschungsprojekts wurden mit verschiedenen Wetterszenarien, Richtungsänderungen, Start- und Landebahninspektionen und Notsituationen konfrontiert. Sie hatten Koordinierungsaufgaben mit der Anflugkontrolle, dem Wetterdienst und den Flughafenbetreibern zu erledigen. Je nach Komplexität wurden die Lotsen unterschiedlich geprüft, von unterfordert bis überlastet. Beide Workload-Extreme sollten jedoch vermieden werden. Deshalb wurde ein neues „split and merge“-Verfahren entwickelt und getestet: Die Lotsen wurden mit dem neuen Verfahren geschult, das es ihnen ermöglichte, Flughäfen zwischen verschiedenen Arbeitspositionen aufzuteilen oder zusammenzuführen. Das Feedback der Lotsen deute darauf hin, dass dieses Verfahren ein sehr vielversprechender Kandidat ist, um Arbeitsbelastung in Unter- oder Überlastsituationen besser abzufangen. „Die Lotsen berichteten nach den Versuchen, dass sie sich schnell und einfach mit dem neuen Konzept vertraut machen konnten“, berichtet Jakobi. Sie seien während der Simulationen in keine einzige sicherheitskritische Situation geraten und seien  zuversichtlich gewesen, dass der „Multiple Remote Tower“ zukünftig eine gute Arbeitsumgebung werden könnte.

Die Erfindung des virtuellen und abgelegenen ,Remote Tower‘

Die Idee eines abgelegenen oder „virtuellen“ Turms wurde 2002 vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) im Rahmen eines internen Wettbewerbs um neue Technologievisionen erstmals formuliert. Die Idee wurde prämiert und 2005 der weltweit erste ferngesteuerte Tower-Prototyp vom DLR-Institut für Flugführung am Flughafen Braunschweig-Wolfsburg eingesetzt, um die technische und betriebliche Machbarkeit des Konzepts zu testen. Es folgten mehrere nationale und internationale Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten. Viele Flugsicherungsorga-nisationen, etwa die Schwedische Zivilluftfahrtbehörde (LFV) und die DFS Deutsche Flugsicherung GmbH, zeigten ihr Interesse. 2015 nahm die erste Remote Tower-Installation in Schweden ihren Betrieb auf, die den Flughafen Örnsköldsvik von Sundsvall aus steuert. Auch die DFS entschied sich für die Fernsteuerung der Flughäfen Saarbrücken, Erfurt und Dresden von einem Remote Tower Center in Leipzig aus, ein Konzept, das zunächst im Remote Tower Lab des DLR Braunschweig in einer Simulationsumgebung auf Sicherheit und Betriebsfähigkeit geprüft wurde. Die positiven Ergebnisse unterstützten dieses Konzept und seit Dezember 2018 ist mit Saarbrücken der erste von der DFS fernüberwachte Flughafen in Betrieb. Erfurt und Dresden würden in den nächsten Jahren folgen.

Das Projekt „PJ05 Remote Tower for Multiple Airports“ hat eine Laufzeit von 2016 bis 2019. Es erhält Fördermittel vom SESAR Joint Undertaking innerhalb des Programms Horizon 2020, dem Rahmenprogramm für Forschung und Innovation der Europäischen Union (Fördernummer 730195). Weitere Projektinformationen finden sich auf der Projekthomepage: www.remote-tower.eu

Quelle: DLR

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