Die Gratwanderung zwischen Ökonomie und anderweitiger Verantwortung in der Luftfahrt

zwei-piloten-im-cockpitWie die Luftfahrt-Ökonomie sinnvoll weiterentwickelt werden kann, war das Thema des des diesjährigen Symposiums des interdisziplären Forschungs-netzwerks FHP der TU-Darmstadt vom 19. bis 21. September. Wie sieht sie aus, die Gratwanderung zwischen Wirtschaftlichkeit und anderweitiger Verantwortung, welche Ausbildungskonzepte für Piloten sind hierbei sinnvoll und ökonomisch umsetzbar? Das waren nur einige der Fragen, die in Rüdesheim im Rheingau behandelt werden sollten.

Die Arbeit im Cockpit der Verkehrsflugzeuge hat in den vergangenen Jahren infolge neuer Technologien und zunehmender Automatisierung gravierende Änderungen erfahren. Motorische Regeltätigkeiten sind rückläufig. Aus dem ,Systembediener´ wurde ein ,Systemüberwacher und –manager´. Digitale Bildschirmcockpits in Verbin- dung mit Fly-by-Wire-Systemen, die im Normalbetrieb sehr komfortabel sind, gene- rieren im Störfall eine hohe Informationsdichte, durch die die Beherrschbarkeit des Systems gefährdet werden kann. Zunehmende Komplexität im Cockpit, die wachsende Luftverkehrsdichte und der Anstieg der Unfälle, die auf Ausbildungs- und Qualifikationsmängeln beruhen – verlangen eine permanente kritische Überprüfung der Aus- und Weiterbildungskonzepte. Das FHP veranstaltet jährlich ein Symposium zu aktuellen Fragen der Verkehrspilotenausbildung.

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Spannende Tage in Rüdesheim: Das Symposium des Forschungsnetzwerks FHP/Foto:jwm

Das Forschungsnetzwerk (FHP), angehängt an das Institut für Nachrichtentechnik der TU Darmstadt, ist ein gemeinnütziger Verein mit dem Ziel, an der Verbesserung der Sicherheit des Luftverkehrs mitzuwirken. Die Mitglieder sind interdisziplinär zu- sammengesetzt. Es sind Wissenschaftler, Verkehrspiloten, Vertreter des DLR, Fluglehrer, Mitarbeiter von Fluggesellschaften, von Pilotenverbänden, der Luftfahrtadministration, des Luftfahrtbundesamtes LBA, der Bundesstelle für Flugunfallunter-suchung (BfU) und der Flugsicherung. Das Forschungsnetzwerk entstand 1997 aus der Arbeitsgruppe „Hochschulausbildung von Piloten“, die das Gutachten zur Errich tung des Internationalen Studiengangs für Luftfahrtsystemtechnik und -management (ILST) an der Hochschule Bremen erarbeitete.

Durch die aktuelle Situation bei Lufthansa, die Anwesenheit von Vertretern der Vereinigung Cockpit (VC) und Keynote-Speaker Stefan Lauer bekam das Sympo- sium unerwartet auch eine politische Dimension. Lauer, bis 2013 im Lufthansa Konzernvorstand für Personal und Verbundairlines verantwortlich, referierte über die Gratwanderung zwischen Wirtschaftlichkeit und anderweitiger Verantwortung. Lauer sprach von der Weichenstellung zum richtigen Zeitpunkt. Werde diese verpasst, können Unternehmen sehr schnell in Schieflage geraten oder sogar Pleite gehen. Für Lufthansa, so die Meinung von Stefan Lauer, bestehe derzeit die einzige Möglichkeit, Schlimmeres zu verhindern darin, eine neue Organisations-Struktur aufzubauen. Sollte das nicht gelingen, so Lauer, könnte es eine Lufthansa bald nicht mehr geben.

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Stefan Lauer (rechts) in zahlreiche Diskussionen verwickelt/ Foto: jwm

Lauer zitierte den italienischen Schriftsteller Giuseppe Tomasi di Lampedusa: „Wenn wir wollen, dass alles bleibt wie es ist, dann ist nötig, dass alles sich verändert.“ Das war auch ein Seitenhieb an die Teilnehmer des FHP-Symposiums der Piloten-gewerkschaft Vereinigung Cockpit (VC). Mangelnde Verständigung zwischen Personal und Geschäfts-leitung sieht er, der selbst 13 Jahre lang auf der Geschäftsleitungsseite die Tarifverhandlungen begleitete, als das derzeitige „Hauptübel“ . Es gelänge nicht, dass beide Seiten sich an einen Tisch setzen und gemeinsam eine Strategie erarbeiten, die das Überleben von Lufthansa in der extrem angespannten Wettbewerbssituation mit starken Lowcost-Airlines und Fluggesellschaften vom Golf sicherstelle. Gemeinsam an einem Strang zu ziehen, wäre aber wichtig. Die Geschäftsleitung, so Lauer, müsse die wirtschaftliche und die Konkurrenz-Situation genauesten und immer wieder eindringlich und verständlich erklären. Sie müsse vor allem erkennen, wo es gemeinsame Interessen für Geschäftsleitung und VC gibt und an diesen arbeiten, um zu einer Lösung zu kommen. Beide, so Lauer, Geschäftsleitung und Vereinigung Cockpit, agierten überheblich und säßen auf einem viel zu hohen Ross in der derzeit extremen Wettbewerbssituation. Das sei sehr gefährlich.

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Prof. Dr. Astrid Zajdband, Assistant Professor an der Embry Riddle University in Brighton/Foto: jwm

Dass Airlines auch von der Investo-renseite getrieben sind, versuchte Prof. Dr. Astrid Zajdband, Assistant Professor an der Embry Riddle University in Daytona Beach, Florida, zu skizzieren. Seit der Privatisierung von Airlines habe auch ein neuer Steuerungsmechanismus, nicht zuletzt die Orientierung am Shareholder Value, Einzug gehalten. Investoren sind an den Renditen ihres eingesetzten Kapitals interessiert. Sind diese zu gering, gehen sie dorthin, wo das Kapital gewinnbringender für sie arbeitet. Sie betonte auch, wie wichtig Mitarbeiterqualifikation und -zufriedenheit seien und welchen Mehrwert sie für ein Unternehmen darstellen. Beides  verursache zunächst Kosten, aber letztendlich einen über diese Kosten hinausgehenden Mehrwert für Unternehmen und Aktionäre. Die Herausforderung bestehe für die Unternehmensführung darin, den Spagat zwischen Kostensenkung, Produktivitätssteigerung, eine Rendite, die Investoren bei Laune halte, den Erhalt des Betriebsfriedens, den „Employee Good Will“, wie sie es nennt, und eben auch die richtige Weichenstellung zum richtigen Zeitpunkt , zu schaffen.

Ergebnisse des Projekts SAMSYS liefert Aussage zu Hauptrisiken

Dass dabei eine hohe Flugsicherheit, eine der wichtigsten Attribute einer Airline, in vollem Umfang erhalten bleibt, ist eine zusätzliche Herausforderung. Das Forschungsnetzwerk FHP hat viele Jahre über Auswahl, Ausbildung, Technik, Regulierung, Flugsicherheit, kurz gesagt über Qualität, wertvolle Erkenntnisse zur Sprache gebracht, sich aber weniger mit den materiellen Grundlagen beschäftigt. Diese wurden vorausgesetzt. Dass es ökonomische Zwänge derzeit auch im Bereich Flugsicherheit gibt, wurde durch den Beitrag von Manfred Müller, Leiter der Abteilung Forschung und Entwicklung der Lufthansa Konzernflugsicherheit deutlich.

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FHP-Preisträger Manfred Müller/Foto: jwm

Der Preisträger des diesjährigen FHP-Awards stellte die Ergebnisse des Forschungsprojekts SAMSYS vor, die zu einem verbesserten Standard für Risikoermittlung und Risikobekämpfung im Luftverkehr führen sollen. Aufgabe von SAMSYS war es, Messgrößen zu finden, mit denen das aktuelle Risiko-Niveau abgeschätzt und bewertet werden kann. Einzelne Parameter wurden dabei so verknüpft, dass sie eine Aussage zu den Hauptrisiken lieferten. interview-mit-manfred1-mueller

Dazu auch der Kurzfilm von FHP-Mitglied und Luftfahrtjournalistin Helga Kleisny scienceblogs.de/flugundzeit

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Betriebswirtschaftliche Vorgaben und durchopti-mierte Flugabläufe führen zu Phänomenen, die noch vor zwanzig Jahren unter den etablierten Airlines kaum zu beobachten waren, sagt Karsten Severin von der BFU in Braunschweig/Foto:jwm

Einer der Beiträge des Symposiums kam von Karsten Severin, von der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (BFU) aus Braunschweig. Seit sich Airlines im harten Konkurrenzkampf gegenüberstehen – so Severin – hätten betriebswirtschaftliche Vorgaben einen wesentlichen Einfluss auch auf Wartung und Operation. Veränderte Wartungsmaßnahmen an Flugzeugsystemen und durchoptimierte Flugabläufe führten zu Phänomenen, die noch vor zwanzig Jahren unter den etablierten Airlines kaum zu beobachten waren. Dazu zählten Auswirkungen auf die Besatzungen durch enger gestaffelte Flugdienstzeiten, aber auch – so Severin – ,Fume´- Events, außergewöhnliche Geruchswahrnehmungen im Flugzeug, oftmals einhergehend mit körperlichen Symptomen von Besatzungsmitgliedern.

Aufgebauschte Panikmache?

Es vergehe kaum ein Monat ohne eine entsprechende Meldung in den Medien. Auf der einen Seite erlebe man eine aufgebauschte Panikmache, die unbegründete Ängste zu schüren versuche und Gesundheitsrisiken maßlos übertreibe, auf der anderen Seite verweise die Luftfahrtindustrie darauf, dass ein eindeutiger kausaler Nachweis zwischen einem Fume-Event und der Erkrankung einzelner Crewmitglieder bisher nicht vorgelegt wurde. Die BfU untersuche derzeit mehrere Fälle in denen Crewmitglieder nach einem so genannten ,Fume –Event´ geschädigt wurden. Neueste unabhängige Untersuchungen wiesen darauf hin, dass Substanzen in Schmierstoffen, Hydraulikflüssigkeiten und Frostschutz-mitteln, die über das Zapfluftsystem ins Flugzeuginnere geraten, toxisch wirken. Eine große Rolle spielten dabei die Dichtungen. Severin zeigte den Teilnehmern den Film von Tim von Beveren: „Ungefiltert eingeatmet“.

Die zahlreichen weiteren Beiträge und Diskussionen befassten sich weitgehend mit der Thematik der Einwirkung wirtschaftlicher Zwänge auf Qualität und Flugsicher- heit. Im Mittelpunkt stand in jedem Fall die Frage, ob das primäre Unternehmensziel einer Airline die Erhöhung des Gewinns, um Investoren zufrieden zu stellen, oder ob es zu Gunsten einer nachhaltiger Qualitätssicherung immer wieder angepasst werden muss.

Johanna Wenninger-Muhr

3 Gedanken zu „Die Gratwanderung zwischen Ökonomie und anderweitiger Verantwortung in der Luftfahrt“

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